© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/15 / 30. Januar 2015

Wenn alles auf eine Erlösung hinarbeitet
Lorenz Jägers pikante Annäherung an die politische Theologie jüdischer Intellektueller von Ferdinand Lassalle bis Richard Perle
Thorsten Hinz

Die Frage nach der aktiven Rolle von Juden in Politik und Gesellschaft zu stellen, ist fast gleichbedeutend mit einer öffentlichen Selbstauslöschung. Das hat seinen furchtbaren Grund im Holocaust. Trotzdem liegt die Frage nahe, denn der jüdische Beitrag zu den politischen, gesellschaftlichen und geistig-kulturellen Entwicklungen im 19. und 20. Jahrhundert ist signifikant. Das Buch des FAZ-Journalisten Lorenz Jäger zur „politischen Theologie jüdischer Intellektueller“ entspringt also einem zwingenden Erkenntnisinteresse.

Der Terminus „politische Theologie“ unterstellt, daß politische Begriffe sich auf einen religiösen Ursprung zurückführen lassen. Gibt es also eine politische Haltung und Begrifflichkeit, die eine relevante Zahl jüdischer Intellektueller miteinander teilen und die ihre Wurzeln in der jüdischen Religion haben?

Für Max Weber lag das auf der Hand. Für die Juden sei „die Sozialordnung der Welt (...) in das Gegenteil dessen verkehrt, was für die Zukunft verheißen war und sollte künftig wieder umgestürzt werden, so, daß dem Judentum seine Stellung als Herrenvolk der Erde wieder zufallen würde“. Und weiter: „Das ganze Verhalten der antiken Juden zum Leben wurde durch diese Vorstellung einer künftigen gottgeleiteten politischen und Sozialrevolution bestimmt.“

Das Judentum als Ort revolutionärer Apokalyptik

Der jüdische Religionsphilosoph Jacob Taubes, den Jäger ebenfalls zitiert, bestätigt Webers Analyse. In dem 1947 veröffentlichten Buch „Israel“ nannte er das Judentum den „geschichtlichen Ort der revolutionären Apokalyptik“, und zwar „weil sich die transzendentpolitische Idee Israels so zwangsläufig auf das Weltleben umschaltet, ist Israel in der revolutionären Bewegung führend“. So hätten Marx, Lassalle, Rosa Luxemburg, Leo Trotzki auf die „Erlösung“ und die „messianische Zukunft“ hingearbeitet.

Karl Marx entstammte väterlicherseits einer Rabbinerfamilie. Im „Kommunistischen Manifest“ hob er lobend die geschichtliche Rolle der Bourgeoisie hervor, die „sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend“ revolutioniere. Ein vergleichbares Beschwören der universellen Dynamik macht Jäger heute bei den Neokonservativen ausfindig. Er deutet das als Beleg für den „Umschlag einer linken in eine rechte oder manchmal auch ultraliberale Revolutionsideologie“, der unsere Zeit kennzeichne.

Der im Titel aufgeworfene „Unterschied“ ist eine Melange aus geistig-religiöser und ethnischer Exklusivität. Der „Antisemitismus-Forschung“, die gegen solche Feststellungen zuverlässig Protest einlegt, attestiert der Autor mangelndes Wissen. Die „Vorurteilsbekämpfer“ würden den eigenen Vorurteilen folgen. Als Kenner auch entlegener Texte und unter Berufung etwa auf den Religionshistoriker Gershom Scholem legt er dar, daß die Kabbala, die jüdische Geheimlehre, mehr ist als eine fixe Idee. Jäger erörtert in dem Zusammenhang den Unterschied von Religion und Magie. Magie bediene sich religiöser Formen zum weltlichen Zweck.

Die aktuelle Geschichtsmetaphysik bestimmt den Mord an den europäischen Juden zu einem archimedischen Punkt der Weltgeschichte und versieht ihn mit religiösen Weihen. Einen anderen großen Genozid, den von Türken an den Armenien verübten, aber weigert Israel sich an seinen Schulen zu thematisieren. Das hat einerseits realpolitische, eben weltliche Gründe. Darüber hinaus gibt es eine religiös begründete Abneigung gegen die Armenier, die als Abkömmlinge der Amalekiter gelten. Amalek wird in der Bibel als Enkel Esaus vorgestellt, der eine kanaanäische Frau genommen haben und damit seine Nachkommen zu einem Mischvolk gemacht haben soll. Seitdem steht der Name „Amalek“ für Feinde des Volkes Israel, deren Andenken laut der Bibel ausgelöscht werden soll.

Darin liegt auch ein „Widerspruch“ gegen das Christliche, der Israel partiell mit der muslimischen Türkei verbindet. Auf der Netzsite des Außenministeriums in Ankara fand Jäger vor Jahren einen Aufsatz der jüdischen Psychoanalytikerin Janine Chasseguet-Smirgel, in dem die Einheit, welche die Gemeinde mit Christus in der Eucharistie vollzieht, als eine narzißtische Verschmelzung beschrieben wird, bei der sich unter dem „Banner der Einheit“ ein „ungeteiltes Ganzes“ bilde. Die deutsche Reichsgründung 1871 sei die säkularisierte Form dieser Verschmelzung gewesen, die letztlich zum Holocaust geführt habe. Der Artikel verbindet die antideutsche mit einer antichristlichen Tendenz und warnt vor der Wiederentstehung des deutschen Modells im europäischen Gewand.

Die Türken benutzten ihn, um einen kulturell und religiös begründeten Widerspruch gegen ihre Vollmitgliedschaft in der EU durch den Hinweis auf den Nationalsozialismus und seine vermeintliche Verankerung im Christentum unmöglich zu machen. Erst nachdem im Bundestag eine entsprechende Anfrage gestellt wurde, löschte das türkische Außenministerium 2003 das Pamphlet. Eine antiislamische Interessenidentität von Europa und Israel, die beispielsweise auf der Internet-„Achse des Guten“ suggeriert wird, existiert folglich nicht.

US-Neocons als Speerspitze des neuen Interventionismus

Unter dem Begriff „Krieg“ werden insbesondere die internationalistisch und interventionistisch eingestellten US-Neocons abgehandelt, die sich zum Teil aus ehemaligen Linken und Trotzkisten rekrutieren und in den USA schon „als jüdisches Familienunternehmen“ bespöttelt wurden. Zu ihnen zählen die Publizisten Irving Kristol und William Safire oder die Politiker Lewis Libby und Richard Perle. In Frankreich gesellen sich ihnen André Glucksmann und Bernard-Henri Levy zu, die eine „intellektuelle Russophobie“ nach Europa hineintragen.

Das Buch ist in sieben Kapitel gegliedert, die jeweils aus Skizzen und Notaten bestehen. Die meisten davon waren schon in der FAZ erschienen, wo ihr assoziativer Stil ein esoterisch interessiertes Publikum für sich einnahm. Zwischen zwei Buchdeckeln versammelt, fügen sie sich zu einem Mosaik. Lorenz Jäger hat ein Buch vorgelegt, dessen immanente Esoterik sich in demselben Maße steigert, in dem der Leser darin eindringt.

Lorenz Jäger: Unterschied. Widerspruch. Krieg. Zur politischen Theologie jüdischer Intellektueller. Karolinger Verlag, Wien/Leipzig 2013, gebunden, 142 Seiten, 22 Euro

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