© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/15 / 30. Januar 2015

Die Schönheit der Landschaft ist meßbar
Windräder allerorten: Unser Mißbehagen wegen der Verspargelung ist keineswegs irrational
Heiko Urbanzyk

Zahlreiche empirisch belegte Nachteile von Windenergieanlagen (WEA) werden gegen deren Errichtung ins Feld geführt. Eine einzige WEA versiegelt durch ihr Betonfundament etwa 3.000 Quadratmeter Boden; dies vorwiegend dort, wo die Natur vor dem Zupflastern gerade bewahrt werden soll. Hinzu kommen die Tötungen von Vögeln und Fledermäusen. Diese lassen sich, falls überhaupt, zahlenmäßig nur grob schätzen, weil die zerfetzten Kadaver weit gestreut und von Aasfressern umgehend vertilgt werden. Schließlich wirken sich die Geräuschkulisse sowie der Schattenwurf der drehenden Flügel meßbar auf die psychische und körperliche Gesundheit von Anwohnern der einbeinigen Giganten aus: Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Unwohlsein sowie Bluthochdruck konnten nachgewiesen werden.

Schutz auf der Jagd, Erspähen von Beutetieren

Zu den häufigen Argumenten gehört die kritisierte Verschandelung und „Verspargelung“ der Landschaft. Das ist nicht irrational: Unser Empfinden für die Schönheit der Landschaft, die uns umgibt, ist empirisch meßbar und Forschungsgegenstand von Disziplinen wie der Umweltpsychologie, Natursoziologie, Geoinformatik und Wanderforschung. Vieles deutet darauf hin, daß das, was nachweisbar unter „Landschaftsästhetik“ fällt, mit menschlichen Urinstinkten beziehungsweise evolutionsbiologisch bedeutsamen Faktoren zu tun hat. Der britische Geograph Jay Appleton stellte diese Theorie bereits Mitte der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts auf. Vor allem Landschaften, in denen unsere Vorfahren auf der Jagd einerseits Schutz finden, andererseits Beutetiere erspähen konnten, würden als schön empfunden: Hügel, die einen unverstellten Blick über die Ebene ermöglichen, kleine Baumgruppen und Seen. Neuere Forschungen geben Appleton recht.

Die Landschaftsökologin Isabel Augenstein stellte in einer Studie aus dem Jahre 2002 fest: „Hoch in der Präferenz stehen gut strukturierte Räume, [...] die den Betrachter durch verlockende Aus- und Durchblicke auffordern, weiter in die Landschaft hineinzugehen.“ Naturnähe, Gewässer, offener Bewuchs, Abwechslungsreichtum, schöne Aussichten, Stille und frische Luft machen laut Rainer Brämer, dem Mitbegründer des Deutschen Wanderinstituts, die bevorzugte Landschaft der Bewohner von europäischen, amerikanischen und asiatischen Industrieländern gleichermaßen aus.

Heimatschutzbewegung gegen Verschandelung

Jüngste Studien der Geoinformatik aus Österreich und der Schweiz belegen, daß das landschaftlich als schön Empfundene zugleich das ökologisch Wertvolle ist. Windräder gehören nicht dazu. Frank Roser vom Institut für Landschaftsplanung und Ökologie an der Universität Stuttgart berichtete in der Zeit (16. Januar 2014) über sein Computerprogramm, das Schönheit messen und dabei die subjektive Wahrnehmung neutralisieren könne. Unser Verlangen nach Landschafts­ästhetik wird demnach „am besten ohne besonders auffällige Elemente der Industriegesellschaft wie Autobahnen, Hochspannungsleitungen, Gewerbegebiete oder auch Windkraftwerke“ befriedigt. Schönheit ist also meßbar, Windener­gieanlagen sind häßlich, und wer sich über die Verspargelung seiner Heimat beklagt, ist kein irrationaler Querulant.

Thomas Büttner gibt in seinem Beitrag „Kulturlandschaft in Zeiten der Energiewende“ allerdings zu bedenken: „Energiegewinnung und -nutzung haben schon immer die Landschaft verändert“ (Heimatpflege in Westfalen, 6/14). Bereits im 19. Jahrhundert habe die Industrialisierung die Kulturlandschaft stark verändert – und die Heimatschutzbewegung auf den Plan gerufen. Die Eroberung dieser Landschaft durch Windkraft-, Solar- und Biogasanlagen werde von den Menschen als schmerzlich empfunden. Aber „diese Entwicklung ist längst noch nicht abgeschlossen“. Der Anteil an „technischen Landschaftselementen“ werde stetig steigen. Vielfach werde von einer „Energielandschaft“ statt Kulturlandschaft gesprochen. Jedoch „der Blick zurück zeigt, daß aus heutiger Sicht ‘Landschaft’ schon immer Energielandschaft war“. Wind- und Wassermühlen seien jedoch allgemein in alten Ortsbildern akzeptiert gewesen.

Diese Erkenntnis ändert nichts daran, daß WEAs heute nicht akzeptiert werden. Offen bleibt, ob unsere Enkelkinder einmal den Windpark vor ihrer Stadt genauso idyllisch finden werden, wie wir die klappernde Mühle am rauschenden Bach. Die Urinstinkte sprechen dagegen.

Heimatpflege in Westfalen Nr. 6/14 zum Herunterladen als PDF: www.lwl.org/

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