© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/15 / 06. Februar 2015

Ein kostspieliges Vergnügen
Parteitag: Ihre neue Satzung hat sich die AfD im wahrsten Sinne des Wortes teuer erkauft
Hinrich Rohbohm / Marcus Schmidt

Ein Satz wie ein Peitschenhieb. Die Arbeit des Bundesvorstandes war „stümperhaft“, schmettert AfD-Sprecher Bernd Lucke den in Bremen versammelten Mitgliedern seiner Partei entgegen. Der 52 Jahre alte Europaabgeordnete steht am Rednerpult des Bremer Musicaltheaters. Hier und im eineinhalb Kilometer entfernen Maritim-Hotel rang die Partei am vergangenen Wochenende auf ihrem Bundesparteitag drei Tage lang um eine neue Führungsstruktur und eine neue Satzung.

Am Ende konnten die meisten der knapp 2.000 angereisten AfD-Mitglieder erschöpft, aber mit der Gewißheit die Heimreise antreten, daß ihre Partei in der Hansestadt keinen Schiffbruch erlitten hat. Die neue Satzung steht, und der von der engeren Parteispitze in letzter Minute ausgehandelte Kompromiß in der Führungsfrage stieß mit rund 80 Prozent der Stimmen auf eine Zustimmung, die für viele Beobachter überraschend eindeutig ausfiel.

Einzig die Stimmung von Bundesschatzmeister Piet Leidreiter war am Ende etwas getrübt. „Dieser Parteitag“, redete er dem Parteivolk ins Gewissen, „sprengt das Budget.“ Die Veranstaltung in Bremen sei so teuer gewesen, daß für dieses Jahr der Etat für Parteitage bereits aufgebraucht sei. „Wir brauchen einen Nachtragshaushalt“, kündigte Leidreiter an. Dem Bremer Parteitag, der nach Informationen der JUNGEN FREIHEIT mindestens eine Viertelmillion Euro gekostet hat, werden in diesem Jahr noch zwei weitere folgen. Im April oder Mai muß der Bundesvorstand der AfD komplett neu gewählt werden. Statt dreier gleichberechtigter Sprecher wird es dann für eine Übergangszeit eine Doppelspitze geben. Ab Dezember, nach dem für November geplanten Programmparteitag, soll die AfD dann nur noch von einem Parteivorsitzenden geführt werden. Aller Voraussicht nach wird dies Bernd Lucke sein. Vermutlich wird zumindest der Parteitag am Ende des Jahres wieder als Mitgliederversammlung abgehalten. Für die Organisatoren mittlerweile ein unkontrollierbare Risiko. Das hatte sich schon vor dem Wochenende in Bremen gezeigt. Im Vorfeld hatten sich 3.000 Mitglieder angemeldet. Zu viele, um alle im großen Saal des Maritim-Hotels unterzubringen. Für die notwendige Anmietung des Musicaltheaters und die erforderliche Übertragungstechnik schlugen noch einmal 80.000 Euro zu Buche. Am Ende kamen dann doch deutliche weniger AfD-Mitglieder, als sich angemeldet hatten. „Die hätten wir auch alle im Maritim unterbringen können“, sagte ein entnervter Parteifunktionär.

Eine satte Merheit für Lucke hinter sich

Am Sonnabend, dem entscheidenden Tag, an dem über die Satzung abgestimmt wird, ist Lucke nicht im Maritim-Hotel. Gemeinsam mit seinem Ko-Sprecher Konrad Adam sitzt er auf dem Podium im Musicaltheater. Ein wichtiges Zeichen. Schließlich hatten Kritiker vor dem Parteitag geunkt, der zweite Saal könnte zu einer bloßen Nebenbühne verkommen. Per Video sehen die Zuhörer im Maritim auf einer Großleinwand Luckes Rede, während die Gäste im Musicaltheater das Geschehen im anderen Saal verfolgen. Lucke erklärt seine Beweggründe, warum er sich für einen einzigen Vorsitzenden und einen hauptamtlichen Generalsekretär einsetzt, spricht angesichts seiner Tätigkeit im EU-Parlament von einer hohen psychischen Belastung. Zudem bemängelt er den hohen Abstimmungsaufwand, den mehrere gleichberechtigte Vorsitzende mit sich brächten. Vor allem bei verbandsinternen Querelen sei er in hohem Maße gefordert gewesen. „Ich war in vielen Fällen der Ausputzer, der versucht hat, Fehler zu korrigieren.“ Ein Satz, der ebenso als Spitze gegen seine Sprecherkollegen gedeutet werden kann wie Luckes nur wenig dezenter Hinweis, daß es nicht Aufgabe der Vorstandsmitglieder sei, ihre persönliche Meinung zu vertreten, sondern die der gesamten Partei.

Während Lucke spricht, wird im Musicaltheater immer wieder Alexander Gauland aus dem Maritim-Hotel eingeblendet. Der hatte seinen Parteichef als „Kontrollfreak“ bezeichnet, war zudem in der Vergangenheit immer wieder mit eigenen Stellungnahmen in den Medien vorgeprescht. Die Zuschauer sehen ihn nicht nur einmal spöttisch lachen während Lucke spricht. In Gauland, so scheint es, brodelt es. Manchem Mitglied stößt das sauer auf. „Er verhält sich alles andere als mannschaftsdienlich“, schimpft ein Mitglied im Musicaltheater.

Doch auch Lucke gesteht in seiner „persönlichen Erklärung“, die er ursprünglich unter Ausschluß der Öffentlichkeit abgeben wollte: „Ich bin kein Teamplayer.“ Mit Ovationen im Stehen wird er dennoch gefeiert. Es sind nur wenige, die trotzig auf ihren Plätzen sitzen bleiben. Bereits da deutet sich an: Trotz teilweise lautstarker Kritik hat Bernd Lucke eine satte Mehrheit hinter sich.

Es ist vielmehr Lucke selbst, der diese Mehrheit in der Folge noch gefährdet. Zu oft greift er in die Satzungsdebatte ein, gibt dadurch Gaulands „Kontrollfreak“-Vorwurf zusätzliche Nahrung. Dabei hätte es genügt, enge Vertraute ins Feld zu schicken, um seine durchaus berechtigten Argumente einzubringen. Als es zur Abstimmung über die gesamte Satzung kommt, für die eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist, wird es somit doch noch einmal spannend. 67,5 Prozent votieren für die Annahme. Eine hauchdünne Mehrheit. Und ein gelöster Bernd Lucke. Wie entfesselt springt er von seinem Sitz, reißt die Arme hoch, jubelt unentwegt seinen Mitgliedern zu. All der Frust und Streß der vergangenen Wochen scheint von ihm abzufallen.

Vor allem bei den Landesverbänden in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, deren Gewicht nach den zweistelligen Ergebnissen bei den Landtagswahlen im vergangenen Jahr deutlich gewachsen ist, macht sich Enttäuschung breit. Gerade die von Gauland geführten Brandenburger und Petrys Sachsen hatten lange für die Beibehaltung der Dreierspitze gekämpft. Unter Lucke, so fürchten viele, werde es schwer werden, den dezidiert konservativen Kurs in diesen Landesverbänden auch in der Bundespartei durchzusetzen. Prompt machten nach der Abstimmungsniederlage in der Satzungsfrage erste Abspaltungsgerüchte der Ostverbände die Runde. Zudem war von bevorstehenden Austrittswellen der Nationalkonservativen die Rede oder von totaler Opposition. Doch schon am nächsten Tag spricht davon in Bremen kaum noch jemand.

Nationalhymne gegen Haßgesänge

Anhaltender Frust herrschte dagegen an anderer Stelle. Etwa bei dem als Dauerquerulant berüchtigten Hamburger Markus Wegner. Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT kündigt der frühere Gründer der Hamburger Stattpartei seinen Austritt aus der AfD an, spricht von „faschistischen Tendenzen“ in der Partei. „Wenn die AfD soweit ist, daß sie bei der Bundestagswahl 51 Prozent bekommt, werde ich einer der ersten sein, den sie ins Gulag sperren“, meint er. Zuvor hatte Wegner mit zahlreichen zeitraubenden Anträgen zur Geschäftsordnung dem Parteitagspräsidium und den meisten Mitgliedern das Leben schwergemacht.

Eine andere Form des Protestes wählte Tatjana Festerling, die Ende Oktober an der gewaltätigen Hogesa-Demonstration in Köln teilnahm und diese zustimmend kommentiert hatte. Nach der Abstimmung über die Satzung zerschneidet die Hamburgerin symbolisch ihren Mitgliedsausweis und veröffentlicht davon per Face-book ein mit Smileys versehenes Bild.

Dazu daß die verhärteten Fronten schnell geglättet werden, trägt ironischerweise die linksradikale Szene Bremens bei. Mit Polizeiangaben zufolge 3.700 Leuten veranstaltet sie einen Demonstrationszug durch die Innenstadt. Die AfD-Gegner haben Lautsprecherboxen dabei, aus denen kommunistische Kampflieder dröhnen. Zahlreiche rote Fahnen wehen im Wind, schwarz gekleidete Vermummte tragen Banner der Antifa vor sich her. Böller explodieren lautstark in der Luft, Haß- und Schmähgesänge auf Bernd Lucke und die AfD ertönen.

Doch die Polizei hat das Geschehen unter Kontrolle, der Zugang zum Maritim-Hotel ist gut abgeschirmt. Auch in dem Gebäude sorgen die Beamten für Sicherheit. Immer mehr AfDler drängen auf den großen Balkon des Hotelgebäudes, beginnen, die Nationalhymne zu singen, ehe sie den Linksradikalen mit „Nazis raus“-Rufen begegnen. „Wir sind der Polizei dankbar, daß sie uns hier so gut beschützt“, ruft Bernd Lucke ins Plenum. Eine Aussage, der 100 Prozent der in Bremen versammelten AfD-Mitglieder begeistert Beifall zollen.

Eine JF-TV-Domumentation über den Parteitag im Internet:

www.youtube.com/jungefreiheitverlag

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