© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/15 / 06. Februar 2015

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Ein dunkles Netzwerk
Paul Rosen

Er habe das Erinnerungsvermögen eines Abgeordneten vor dem Untersuchungsausschuß, hieß es in den Bonner Jahren der Bundesrepublik, wenn jemand in einer brisanten Angelegenheit seine Verschwiegenheit versichern wollte. Auf eine gespenstische Weise hat dieses Bonmot die Berliner Republik eingeholt, allerdings ist der Humor restlos auf der Strecke geblieben.

Es geht um den Untersuchungsausschuß des Bundestages zum Fall des früheren SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy. Offenbar spielt darin der SPD-Haushaltsexperte und Multifunktionär Johannes Kahrs, der sogar seine Zugehörigkeit zum Lesben- und Schwulenverband im Bundestags-Handbuch angibt, eine Schlüsselrolle. Viele Spuren der ermittelnden Abgeordneten, die klären sollen, wer Edathy frühzeitig über die Ermittlungen wegen dessen Kaufs kinderpornografischen Materials informierte, führen offenbar in Richtung Kahrs. Doch der Hamburger Abgeordnete, der sich nach Medienberichten gerne mit „jungen smarten Nachwuchsgenossen mit den eng geschnittenen Anzügen“ zu umgeben pflegt, war – ganz gegen seine Art – in der Vernehmung durch den Ausschuß schweigsam.

CDU-Obmann Armin Schuster gab nach der Vernehmung zu Protokoll, Kahrs habe eine „einzigartige Vorstellung von Totalgedächtnisverlust“ gegeben. Die Amnesie des Hamburgers, der zum rechten „Seeheimer Kreis“ der SPD gehört und Vorsitzender des immer noch existierenden Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold ist, war aber kein Hindernis für erste Aufklärungsergebnisse des Falls Edathy. Und die zeigen: Die Sache hat das Zeug zur Staatsaffäre, bei der nicht nur die Existenz der jetzigen SPD-Führung, sondern vielleicht sogar der Fortbestand der SPD in ihrer heutigen Funktion auf dem Spiel steht.

Es geht um eine Frage, die der Ausschuß bisher nicht thematisiert hat, aber über die natürlich im Café Einstein getuschelt wird. Es gibt in der SPD-Fraktion offenbar noch eine zweite Ebene, wo man sich noch besser kennt, sozusagen ein dunkles Netzwerk. Dort werden Informationen schon mit Lichtgeschwindigkeit verbreitet. Persönliche Beziehungen spielen auch eine Rolle, werden aber im Ausschuß nicht behandelt. Auch die Medien seien rücksichtsvoll, freut sich die CDU-Abgeordnete Kristina Schröder: „Gut finde ich, daß in der Berichterstattung über Edathy seine Homosexualität so gut wie kein Thema ist.“

Michael Hartmann, der wegen des Erwerbs von Drogen seinen Posten als innenpolitischer Sprecher räumen mußte, ist von fast allen Zeugen als Informant Edathys über die Ermittlungen belastet worden. Noch ist unklar, welche Rolle der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel und der heutige Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann gespielt haben, wann sie Bescheid wußten und ob sie Hartmann instruiert haben, Edathy zu warnen. Drogenkäufer Hartmann ist der letzte Schutzschild für die SPD-Führung. Es sind offenbar Dinge passiert, die selbst dem Drehbuchautor einer drittklassigen RTL-Nachmittagssendung nicht einfallen würden. Das Schlimme ist: Diese Dinge sind im Parlament passiert.

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