© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/15 / 06. Februar 2015

Mit Wahlgeschenken in den Staatsbankrott
Griechenland: Die neue Links-Rechts-Regierung steckt im Dilemma hoher Erwartungen und leerer Kassen
Christian Schreiber

Wie gereizt die Stimmung ist, läßt sich schon daran ablesen, daß es Martin Schulz, Präsident des Europaparlaments, ziemlich eilig hatte, den neuen griechischen Regierungschef Alexis Tsipras in Athen zu besuchen. Er werde „Tacheles reden“, und er habe „wenig Lust auf Debatten“, ließ der SPD-Politiker ausrichten, als er aufbrach. Im Anschluß an das Gespräch war die Stimmung nicht viel besser. Er habe Tsipras „nachdrücklich ans Herz gelegt, verbal abzurüsten“, sagte Schulz der Welt am Sonntag und riet ihm zudem, seine Angriffe auf Bundeskanzlerin Angela Merkel zu beenden.

Die Sachlage ist dabei ziemlich eindeutig. Griechenland ist seit Jahren pleite, hängt am Tropf der EU-Mitgliedsländer und damit vor allem am Steuersäckel der Bürger. Ende Februar läuft die nächste Stufe des Rettungspaketes aus, und es steht außer Frage, daß Griechenland ohne neuerliche Finanzspritze auf den Staatsbankrott zusteuert. Dabei ist die Situation für beide Seiten verfahren.

Tsipras und seine neue Koalition, bestehend aus der linkspopulistischen Syriza und der rechtskonservativen Unabhängigkeitspartei, haben bereits im Wahlkampf die Muskeln spielen lassen. Angriffe gegen Deutschland waren an der Tagesordnung, von einer „Merkel-Diktatur“ war die Rede, und die Rufe nach einem Schuldenschnitt wurden immer lauter.

Die EU, an ihrer Spitze Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, hat stets betont, daß eine solche Radikallösung nicht in Frage käme, würde sie doch Begehrlichkeiten bei anderen Krisenländern wie Frankreich, Italien oder Portugal wecken. „Wir sind eine Regierung der nationalen Rettung, unser Ziel sind Schuldenerleichterungen. Wir werden die Politik der Unterwerfung nicht fortsetzen“, sagte Tsipras in der vergangenen Woche und erklärte seine Bereitschaft zu „Verhandlungen mit unseren Partnern“. Dabei solle nach einer „gerechten“ Lösung gesucht werden, bei der beide Seiten – die Geldgeber und Griechenland – profitierten. Tsipras sagte, seine Regierung habe einen Vier-Jahres-Plan entworfen, der zu einem ausgeglichenen Haushalt führen soll: „Wir haben realistische Vorschläge für die Schulden und die Investitionen.“

Keine Steuern gezahlt in der Hoffnung auf Syriza

Davon war zunächst allerdings relativ wenig zu sehen. In Windeseile hatte die neue Links-Rechts-Regierung ihre Wahlversprechen eingelöst und den von Brüssel verordneten Sparkurs verlassen. So erklärte Tsipras nach der ersten Kabinettssitzung, daß seine Regierung Tausende im Zuge der Sparmaßnahmen entlassene Staatsbedienstete wieder einstellen wolle, die Rede war zunächst von etwa 9.500. Gleichzeitig wurde ein Entlassungsstopp im Öffentlichen Dienst verkündet und die Wiedereinführung des 13. Monatsgehalts zugesichert. Außerdem soll der Mindestlohn wieder auf den alten Stand von monatlich 751 Euro angehoben werden, zudem dachte die Regierung über einen Privatisierungsstopp bei Bauvorhaben nach. „Die Würde der Bevölkerung, die in den vergangenen Jahren in die Verelendung geführt worden ist, wollen wir so schnell wie möglich wiederherstellen“, erklärte der Ministerpräsident. Griechenland müsse aus dem Teufelskreis der „Überschuldung und der Rezession“ herauskommen.

Als Reaktion auf die Pläne der neuen Regierung stürzten die Finanzmärkte des Landes regelrecht ab. Sowohl Aktien als auch die Kurse von Staatsanleihen erlitten starke Verluste. Besonders hart traf es die Banken, die an der Börse bis zu 30 Prozent an Wert verloren. Der Aktien-Leitindex ASE in Athen brach zeitweise um fast neun Prozent ein.

Daß Griechenland in der Lage sein wird, die Schulden in Höhe von 320 Milliarden Euro gegenüber EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds zu begleichen, glaubt weder in Athen noch in Brüssel irgend jemand. Zudem droht dem Land ein neues Haushaltsloch. Wie die Nachrichtenagentur dpa berichtete, hätten zahlreiche Griechen in den vergangenen zwei Monaten in der offensichtlichen Hoffnung auf Steuersenkungen nach einem Sieg von Syriza ihre Steuern nicht gezahlt. Derzeit würden weitere vier Milliarden Euro fehlen. Dennoch beendete die Regierung am Wochenende die Zusammenarbeit mit der Troika. Die künftige Finanzierung des Haushalts ist völlig ungewiß.

Wie wenig die neue Regierung generell von einer Einmischung aus Brüssel hält, zeigte sich auch an einer ersten Duftmarke in Sachen Außenpolitik. Beinahe zeitgleich mit der Ernennung seines Kabinetts schickte der neue Ministerpräsident Alexis Tsipras eine Mitteilung nach Brüssel, die klarstellte, daß Griechenland als einziger der 28 EU-Staaten nicht bereit sei, eine Erklärung zu unterzeichnen, die Rußland die Verantwortung für den Raketenangriff auf die ukrainische Stadt Mariupol zuweist.

Rußlands Präsident Wladimir Putin nutzte die griechische Proteststimmung prompt und schickte den russischen Botschafter als ersten Diplomaten zu einem Antrittsbesuch zu Tsipras. Längst hat Rußland die übrigen EU-Länder als wichtigster Handelspartner abgelöst. Die Wochenzeitung Die Zeit bezeichnete die neue griechische Regierung bereits als „Putins trojanisches Pferd“.

Nach einem Treffen Tsipras’ mit dem zyprischen Präsidenten Nikos Anastasiades am Montag wurde spekuliert, Griechenland buhle um einen Hilfskredit aus den Moskauer Schatullen. Der neue Premier dementierte umgehend: „Es gibt im Moment keinen solchen Gedanken.“ Griechenlands „einziges und ausschließliches Ziel“ sei, die Verhandlungen mit den EU-Partnern zu einem guten Ende zu bringen.

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