© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/15 / 06. Februar 2015

Auf der falschen Seite
Zum 150. Geburtstag von Sven Hedin: Sein Engagement für das Deutsche Reich nach 1914 wurde dem schwedischen Forscher übelgenommen
Rainer Wassner

Am 8. Februar 1915 erschien völlig überraschend in einer schwedischen Zeitschrift die erste Reportage des berühmten Geographen und Entdeckers Sven Hedin von der deutschen Westfront, der bald weitere folgten. Noch im gleichen Jahr kam die deutsche Buchausgabe unter dem Titel „Ein Volk in Waffen“ auf den Markt. Das verwirrte viele Zeitgenossen. Ausgerechnet von Sven Hedin, dem schwedischen Volkshelden, einer Medienikone seiner Zeit!

Zwischen 1899 und 1908 hatte der Skandinavier weite Strecken Zentral-asiens und des Orients als erster Europäer bereist und erforscht. Auf Tausenden von Druckseiten hatte er das Publikum an seinen erregenden und strapaziösen Reisen, Erlebnissen und Abenteuern teilhaben lassen, in wissenschaftlichen und populären Versionen, mit eigenen Zeichnungen illustriert. Ein in alle Kultursprachen übersetzter Autor mit Millionenauflagen (sein deutscher Verleger wurde Alfred Brockhaus in Leipzig), tourte er als begeisternder Vortragsredner durch die Städte Europas und finanzierte mit seinen Honoraren die vorherige oder die nächste Expedition. Ehrungen waren ihm allerorten zuteil geworden, in Schweden fiel ihm der Ruhm zu, der letzte vom König geadelte Bürgerliche zu sein.

Eindeutige Stellungnahme Hedins für die Mittelmächte

Wie war er nun zum Engagement für Deutschland gekommen? Hedin litt wie die meisten seiner Landsleute an Ängsten vor Rußland, an das es im Verlauf der letzten zweihundert Jahre das Baltikum, Finnland und seine Vormachtstellung im Ostseeraum eingebüßt hatte. Ein russischer Angriff direkt über die Ostsee schien nicht mehr ausgeschlossen. 1912 hatte Sven Hedin darum zum erstenmal in die politischen Debatten seines Heimatlandes eingegriffen und erfolgreich eine Riesenkampagne für den Bau eines Panzerkreuzers gestartet. Letzten Endes aber, so glaubte Sven Hedin, vermochte einzig die Militärkraft des Deutschen Reichs Rußlands Expansionsdrang nach West- und Nordeuropa nachhaltig aufzuhalten. Deutschland − das Land, dem seit Jugendtagen seine Sympathie galt. 1889 bis 1892 hatte er an der Berliner Universität studiert und danach in Halle promoviert. Nun sah er mit dem Kriegsausbruch Deutschlands territoriale und kulturelle Integrität gefährdet und wollte ein Zeichen der Solidarität setzen.

Im September 1914 machte sich Hedin heimlich auf den Weg nach Berlin, und mit Förderung höchster Stellen reiste er als Kriegskorrespondent in gestelltem Auto zum westlichen Kriegsschauplatz. Unmißverständlich begründete er die Notwendigkeit seiner Präsenz im Vorwort des Buches: „Dieser Krieg muß von grundlegender Bedeutung werden für die politische Entwicklung der nächsten fünfzig, hundert, vielleicht noch mehr Jahre. Seine Schatten müssen unbedingt auf das weitere Dasein der gegenwärtigen Generation fallen (...) Siegt Rußland, so ist das Schicksal Schwedens und Norwegens besiegelt!“ Außerdem wollte er vor Ort sein, um die Greuelgeschichten über die Deutschen in Belgien kritisch zu überprüfen, „und die Wahrheit zur Kenntnis der Allgemeinheit bringen“.

Die ausländischen Reaktionen ließen nicht auf sich warten: Umgehend wurde Hedin aus den Mitgliedslisten der britischen Royal Geographic Society und der französischen Ehrenlegion gestrichen. Die Kaiserlich Russische Geographische Gesellschaft hatte nach dem erwähnten Aufruf von 1912 bereits seinen Ausschluß bekanntgegeben. Exkommuniziert natürlich nicht wegen Verletzung irgendeines Neutralitätsstatus; eine Parteinahme des Schriftstellers für die Entente wäre durchaus willkommen gewesen.

Aber diese Reportagen gefährdeten das propagandistische Image vom deutschen Barbaren, das sich gerade zu festigen begann. Wenig später, von Februar bis August 1915, bereiste, beobachtete und schilderte Hedin auch die deutsch-österreichische Ostfront (deutscher Titel „Nach Osten“, Leipzig 1916).

Ungeachtet ihrer martialischen Titel (sie stammen von Brockhaus, im Original klingen sie neutral: „Von den Fronten im Westen“ bzw. „Krieg mit Rußland“) und der eindeutigen Stellungnahme für die Mittelmächte berichten sie vom Kriegsgeschehen, hinter der direkten Frontlinie, durchaus informativ, sachlich und anschaulich, wozu Fotos und Zeichnungen beitragen. Nichts von billigem Hurra-Patriotismus; die Leiden, auch der Zivilisten, werden weder beschönigt noch verschwiegen.

Der gegnerische Soldat, besonders der Gefangene, erfährt Respekt und Anteilnahme; nirgends Haß, Herabsetzung oder Hohn. Hie und da ein ironischer Satz über die Politiker in London und Paris zum Bündnis mit dem reaktionären Zaren. Allenfalls finden sich gelegentliche antirussische Ressentiments – vor allem gegen die Herrschenden im Zarenreich, für nationale Gefühle der Russen äußert er sogar Verständnis. Spricht er plakativ von der Bedrohung des Germanentums, ist es nicht in rassischer, sondern in völkisch-regionaler Hinsicht gemeint, als möglicher Verlust der politischen Eigenständigkeit.

So enthüllt sich die Kritik immer wieder als Nörgelei an Hedins bloßer Parteinahme, dem Einsatz für Deutschland. Daß Hedin ein Gegenpol gegen die damalige antideutsche „Weltmeinung“ war und geblieben ist, trug ihm bald selbst in Schweden öffentliche Schelte ein. Ein beliebter Kritikpunkt waren dabei immer wieder seine Gesprächspartner: Adlige aus dem Offizierskorps, Befehlshaber und die beiden Kaiser Wilhelm II. und Franz Josef II. Ein Vorwurf traf dabei Hedin wohl nicht zu Unrecht: Die Flammen des Sozialismus, des Pazifismus und des Liberalismus vermochten ihn nicht zu erwärmen, er selbst gab gerne zu, an der alten Welt zu hängen, an „König, Volk und Vaterland“.

Nach dem Krieg setzte er seine weltweite Reise- und Publikationstätigkeit fort. Die diktierten Verträge von Versailles bedrückten ihn und veranlaßten wiederholt aufmunternde Schreiben an die Deutschen. 1926 beauftragte ihn die Lufthansa mit einer Forschungsmission in Asien, die der Errichtung einer möglichen Fluglinie Berlin-Peking galt. Der Financier war, wie man später erfuhr, die Weimarer Reichsregierung. Hedin organisierte ein großes internationales Wissenschaftlerteam, dessen Ergebnisse bleibenden wissenschaftlichen Wert haben sollten. Selbst die US-Luftwaffe konnte seine Kartenblätter noch im Afghanistankrieg gegen die Taliban nach 2001 verwenden.

Hedin bat Hitler, Finnland gegen Stalin zu unterstützen

Die Nationalsozialisten betrachtete er als legitimen Revisor der verhängnisvollen Versailler Bestimmungen. Ohne mit der NS-Weltanschauung übereinzustimmen – vermutlich, ohne sich je mit ihr befaßt zu haben – beeindruckte ihn der wirtschaftliche Aufstieg in den dreißiger Jahren sehr. Er traf Hitler bei den Olympischen Spielen und versuchte auch, seine Bekanntschaft zu dem von ihm persönlich verehrten „Kerl“ politisch zu nutzen. So bat er ihn Ende 1939, auf seiten Finnlands in den Krieg gegen die Sowjetunion einzutreten, was Hitler wegen des Molotow-Ribbentrop-Abkommens ablehnte.

Selbst 1948, vier Jahre vor seinem Tod, schrieb der wegen seines Engagements für das Deutsche Reich inzwischen vollkommen isolierte und vereinsamte Hedin in einem Brief: „... wenn erst einmal die Macht des Bolschewismus gebrochen ist, erhält auch Deutschland seine Chance. Womöglich wäre die Welt noch in Ordnung zu bringen, wenn die Westmächte Deutschland unterstützen würden, anstatt es zu unterdrücken.“

Am 19. Februar 1915 jährt sich sein Geburtstag zum 150. Male.

Foto: Sven Hedin (M.) bei seiner Tibet-Expedition 1908: Der Erfolgsautor tourte vor 1914 als gefeierter Vortragsredner durch die Städte Europas

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