Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/15 / 13. Februar 2015

Aus Heimweh wiedergeboren
Erinnerungskultur: Keine andere deutsche Stadt hat das Gedenken an ihre Zerstörung und die Zeit davor so kultiviert wie Dresden
Paul Leonhard

Die alte Tante lebt nicht mehr. Sie war in der Familie die letzte Zeitzeugin, die den Bombenterror auf Dresden als Fast-Erwachsene, als 17jährige, erlitten und überlebt hatte. Den ersten Angriff als Patientin im Krankenhaus Friedrichstadt, den zweiten auf den Straßen herumirrend, den dritten, den Tagesangriff, irgendwo. Da gab es schon kein Dresden mehr, waren die vertrauten Straßen und Gassen, die markanten Fassaden nur noch brennende und rauchende Trümmer. Ein Ruinenfeld, abgesperrt von Polizei und Feuerwehr. Und knapp drei Monate später brach noch einmal das Grauen herein, als am 8. Mai die Rote Armee kam, Mädchen und Frauen zu Freiwild erklärte, von den Bomben verschonte Häuser räumen ließ.

Herz des Mythos war die zerstörte Frauenkirche

Die Stimmen der Zeitzeugen verhallen. Sie sterben weg. Das Sagen haben Historiker, Politiker und Journalisten. Bevorzugt solche, die es nicht ertragen, daß die Einheimischen noch immer um das Alte trauern. Deswegen versuchen sie nachzuweisen, daß es keinen Mythos Dresden und keine unschuldige Stadt gibt (als ob es schuldige Städte gäbe).

Dabei gab es schon einmal klarere Worte: „Und heute fordere ich euch auf, in diesem Kreuz die Stadt Dresden zu sehen, wo in einem Kapitel der Geschichte, in dessen Gedenken Britannien sein Haupt in Scham beugen sollte, 202.040 Menschen in weniger als 12 Stunden verbrannt oder in die Luft gesprengt wurden.“ Dompropst (Provost) Harold Claude Noel Williams sprach sie am 14. März 1965 in der Kathedrale zu Coventry, als er zwanzig junge Engländer verabschiedete. Diese wollten bei der Enttrümmerung des von britischen Bomben zerstörten Diakonissen-Krankenhauses in Dresden helfen.

Der Brite irrte damals bei der Opferzahl. Heute sind sich Historiker weitgehend einig, daß jene Zahlen stimmen, die von der Dresdner Polizei in den Wochen nach den Angriffen aufgelistet worden waren. Etwa 25.000, maximal 35.000 Tote. Eine von der Stadt eingesetzte Historikerkonferenz geht ebenfalls von 25.000 aus. Auch die Tieffliegerangriffe scheinen widerlegt zu sein: technisch nahezu unmöglich. Trotzdem bleibt dieser Mythos, der sich „in der Form einer Ellipse deuten läßt, deren beide Pole einmal den Glanz und die Schönheit, einmal das Elend und die Zerstörung verkörpern“, so Klaus Vogel, Direktor des Deutschen Hygiene-Museums Dresden. Alles was dieser Stadt widerfahren sei, zeige die Frauenkirche in konzentrierter Gestalt, „als Punctum auf den Veduten Canalettos und als geschwärzte Ruine“.

„Wenn es einen Mythos Dresden gibt, dann war sein Herz die Ruine der Frauenkirche“, schrieb der in Dresden geborene Schriftsteller Ingo Schulze. Und der Filmemacher Konrad Weiß sprach von dem Schuttberg als einem „erstarrten Schrecken, der fast ein halbes Jahrhundert auch für die Nachgeborenen gegenwärtig“ blieb. Kein Zufall, daß diese Ruine und die benachbarte Kreuzkirche zu den Geburtsorten der Friedensbewegung der DDR wurden, zur Keimzelle der bürgerschaftlichen Proteste unter dem Ruf „Wir sind das Volk“.

Der Ursprung für die Legenden und den Mythos liegt in der Sinnlosigkeit und Endgültigkeit dieser drei Angriffe innerhalb weniger Stunden, die doch nur der Auftakt für vernichtende Bombardements auf andere sächsische und böhmische Städte waren. Es ging den Strategen in London und Washington nicht darum, eine Garnisonsstadt mit kriegswichtiger Industrie oder einen Eisenbahnknoten zu zerstören, noch der aus Schlesien vorrückenden Roten Armee den Vormarsch zu erleichtern, denn weder Kasernen noch Fabriken oder Eisenbahngleise wurden schwer getroffen, und Trümmerwüsten sind leichter zu verteidigen als unzerstörte Städte. Eine Luftaufnahme der Royal Air Force vom November 1943 mit eingezeichnetem Zielsektor beweist das Ziel: Die Bomben der 759 britischen Lancesterbomber und der 311 amerikanischen B-17 galten allein dem historischen Stadtzentrum und sollten möglichst viele Einwohner töten. Eindeutig ein Kriegsverbrechen. Und da die Dresdner ihre Stadt immer als ein Erbe der gesamten Welt, ihre Stadt vor allem als eine der Kultur und Kunst verstanden, traf es sie so unvermittelt, daß dieses einmalige Ensemble europäischer Städtebaukunst innerhalb weniger Stunden vernichtet wurde.

Seitdem prägt der 13. Februar 1945 die Identität der Überlebenden und der aus dem Krieg Heimgekehrten. Keine andere Stadt „kultivierte die Erinnerung an die Zeit vor der Zerstörung mit so schmerzvoller Nostalgie, keine lebte so sehr vom Phantombild ihrer einstigen weltstädtischen Silhouette“, schrieb der Dresdner Dichter Durs Grünbein: „Es war die Chimäre des Alten Dresdens, die überall umging, wie das Heimweh nach einer besseren Zeit.“

Diese Sehnsucht nach dem Unzerstörten und diese ohnmächtige Trauer über das Verlorene waren der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Dresdner und die sie beherrschenden Einheitssozialisten einigen konnten. Das erklärt den hartnäckigen Kampf der Bürger um verbliebene Zeugnisse des Vorkriegsbestandes. Spätestens als die sowjetischen Panzer am 17. Juni 1953 gegen die Arbeiter rollten und später, 1968, noch einmal durch Dresden nach Prag, war dem Bürgertum klar, worauf man sich konzentrieren mußte: auf den Erhalt wenigstens des Geistes ihrer Stadt.

Zu Hause bleiben und dem Klang der Glocken lauschen

Ausgerechnet die Briten waren es, die schon früh begriffen, was sie in Dresden angerichtet hatten. Selbst die Generalität war beschämt. Und das Nachkriegs-Dresden hat frühzeitig den Schulterschluß gesucht mit anderen im Zweiten Weltkrieg zerstörten Städten. Partnerschaften mit Sankt Petersburg, Coventry, Hamburg wurden geschlossen. Nie ging es um Schuldzuweisungen, sondern immer nur um die Trauer, um geliebte Menschen und um einzigartige Kunst- und Architekturschätze.

Der aus Waltersdorf/Schlesien stammende Medizin-Nobelpreisträger Günter Blobel gründete 1994 in New York den Förderverein „Friends of Dresden“, um die Elbestadt beim Neuaufbau zerstörter Sehenswürdigkeiten, speziell der Frauenkirche und der Synagoge, zu unterstützen. Auch die Stiftung des Dresdner Friedenspreises, der jährlich am 13. Februar verliehen wird, geht auf die Initiative Blobels zurück. In diesem Jahr erhält ihn der Herzog von Kent, der seit 1994 Schirmherr des britischen Dresden Trust ist. Mehr aber noch hat die Dresdner eine Aktion aus Großbritannien gerührt. Der Schmied Alan Smith, Sohn eines der Bomberpiloten, stiftete das goldene Turmkreuz für die Frauenkirche.

Schwer traf es die Dresdner deshalb, als ihnen ihre stille Trauer plötzlich unmöglich gemacht wurde, weil linke und rechte Demonstranten durch die Straßen zogen. Als ganze Straßenzüge von der Polizei gesperrt wurden und brennende Müllcontainer an einen Bürgerkrieg denken ließen. Auch für diesen 13. Februar sind mindestens elf Demonstrationen und Kundgebungen angemeldet. Allein die Veranstalter der Menschenkette, die sich gegen 18 Uhr um die Altstadt schließen soll, rechnen mit rund 11.000 Teilnehmern. Gemeinsam wolle man ein „starkes Zeichen gegen den Mißbrauch unseres Gedenkens“ setzen, so die nicht aus Dresden stammende Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU).

Und die 11.000 Menschen werden zusammenkommen, dafür werden die Organisatoren schon sorgen, selbst wenn sie Busse mieten müssen. Der Dresdner wird das tun, was er seit den Demonstrationsorgien immer tut: Er bleibt zu Hause, lauscht dem Klang der Glocken und erzählt den Nachgeborenen von jener Nacht. So wurde die Erinnerungskultur weitergegeben von Generation zu Generation. Für Fremde ist das alles nur schwer zu verstehen, weswegen die Dresdner sich auch kaum Mühe geben, es zu erklären.

Wer sie trotzdem verstehen möchte, sollte die Berichte Überlebender aus der Dokumentation „Martha Heinrich Acht. Dresden 1944/45“ von Matthias Neutzner lesen. Der Historiker hat mit seiner Mitte der achtziger Jahre gegründeten Interessengemeinschaft „13. Februar“ dafür gesorgt, daß die Zeitzeugen noch gehört werden können, wenn der letzte von ihnen verstummt ist. Sie haben die Erinnerungen Überlebender auf Tonband aufgezeichnet, Hunderte Bänder. Es war ein Sammeln gegen die irdische Lebenszeit und noch längst nicht alle Aufnahmen sind ausgewertet.

Und wer verstehen möchte, sollte am diesjährigen 13. Februar einen weiten Bogen um die Frauenkirche schlagen, wenn dort ab 16 Uhr der Bundespräsident vor 1.400 geladenen Gästen spricht. Er sollte lieber die katholische Hofkirche aufsuchen. In der Nepomukkapelle steht, aus Meißner Porzellan gefertigt, die Pietà von Friedrich Press. Das Kunstwerk wurde in tiefer Trauer um jene geschaffen, die im Feuersturm umgekommen sind. Ebenfalls an der Kathedrale zeigt an diesem Tag Stuart Williams seine Lichtinstallation „Lebens- atem“. Der Amerikaner hat sie ausdrücklich zu Ehren des Überlebens und des Wiederaufbaus Dresdens geschaffen.

Für die Jungen sind Ruinen kaum noch vorstellbar

Anschließend könnte der Fremde zum Wettiner Platz laufen: quer über den Theaterplatz und den Zwinger, vorbei an den freigelegten Kellern der einstigen Bebauung der Wilsdruffer Vorstadt, die bald Neubauten weichen werden, durch die Schützengasse. Diesen dominiert die Sandsteinfassade der Musikhochschule. Deren Westflügel war schon am 7. Oktober 1944 beim ersten Bombenangriff schwer getroffen worden. Und wenn sich der Fremde umdreht, blickt er auf eine Rasenfläche mit einer bronzenen Tür. Wo sie heute steht, stand einst ein Altar, ragte die Jakobikirche in den Himmel. Sie wurde am 17. April 1945, bei einem der letzten Bombenangriffe, schwer beschädigt und 1953 gesprengt.

Vielleicht werden einst die letzte sichtbare Erinnerung die Hinweise auf den „Luftschutzraum“ und eine „Auffangstelle“ an der früheren Oberpostdirektion am Postplatz sein. Ein Investor hat diese halbe Ruine unlängst erworben und will sie, obwohl nicht denkmalgeschützt, in den geplanten Neubau integrieren. Schon heute ist die einstige Ruinenlandschaft angesichts des wiederaufgebauten Dresdens so schwer vorstellbar, wie es der in den Trümmern aufgewachsenen Nachkriegsgeneration nicht gelang, in ihrer Phantasie dem Schloßturm wieder die Haube aufzusetzen, sich das Residenzschloß anders als als fensterlose Ruine vorzustellen oder gar die Trümmer der Frauenkirche die Bährsche Kuppel zu formen.

Heute müssen die jungen Dresdner schon nach Dresden-Reick fahren, wo der Künstler Yadegar Asisi gerade in einem ehemaligen Gasometer eines seiner monumentalen Panoramen vollendet hat: Das 106 Meter lange und 30 Meter hohe Bild zeigt einen 360-Grad-Rundblick über das nach den Bombenangriffen noch brennende Dresden (siehe Seite 15).

 

Keine Kränze

Die Stadt Dresden hat in diesem Jahr die traditionelle Gedenkveranstaltung am 13. Februar auf dem Heidefriedhof zur Erinnerung an die Opfer der Bombardierung von 1945 ersatzlos gestrichen. „Die Landeshauptstadt Dresden schließt sich unterschiedlichen Initiativen an, die an ganz verschiedenen Orten, darunter auch auf verschiedenen Friedhöfen, stattfinden“, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT. Dadurch bekomme das „eigenverantwortliche und bürgerschaftliche Engagement an diesem Tag einen angemessenen Gedenkrahmen“, so die Begründung.

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) wird am Freitag an keiner Kranzniederlegung, sondern an der zentralen Gedenkveranstaltung mit Bundespräsident Joachim Gauck in der Frauenkirche teilnehmen, teilte die Staatskanzlei mit. Die Vorsitzende der AfD-Fraktion im Sächsischen Landtag, Frauke Petry, kritisierte die Entscheidung der Stadt: „Es wäre am 70. Jahrestag ein wichtiges Zeichen gewesen, an diesem symbolträchtigen Ort wieder eine Gedenkveranstaltung abzuhalten“, sagte sie der JUNGEN FREIHEIT. Unterdessen haben die Grünen im Stadtrat für eine Neuausrichtung des Erinnerns plädiert: Schön wäre „ein Fest wie ‘Dresden ist bunt’ “, so Fraktionschef Thomas Löser.

www.dresdentrust.org

www.friendsofdresden-deutschland.com

Foto: Pietà von Friedrich Press (oben), Dresdner Hofkiche (rechts): Schmerzvolle Nostalgie und ohnmächtige Trauer um das Verlorene