Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/15 / 13. Februar 2015

Ohne die launischen Rebellenführer geht gar nichts
Ostukraine: Die „privatisierte“ Machtpolitik läßt Moskau als Unbeteiligten erscheinen, verschlingt aber gleichzeitig eine Menge an Führungspersonal
Thomas Fasbender

Keinen Zentimeter des „mit unserem Blut“ eroberten Bodens würden sie hergeben, so die Chefs der „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk, Alexander Sachartschenko und Igor Plotnizki, vor den Minsker Verhandlungen in der vergangenen Woche. Eine klare Ansage an die Staats- und Regierungschefs aus Rußland, Deutschland, Frankreich und der Ukraine, die wissen daß ohne die launischen Rebellenführer kein Waffenstillstand möglich ist.

Als „Public-Private-Partnership“ bezeichnet der Journalist Oleg Kaschin die Taktik der russischen Regierung auf der Krim und in der Ostukraine. Der Westen benutzt das Adjektiv „hybrid“. Das Menschenmaterial wird vom Militär gestellt – ob als höfliche grüne Männchen auf der Krim oder als entsandte Freiwillige in den Rebellengebieten. Das ist der öffentliche Teil der Partnerschaft.

Die Führungsaufgaben obliegen derweil den „Privaten“. Sie stellen sicher, daß der Kreml keine politische Verantwortung trägt. Formal keinem Staat verpflichtet, genießen die „privat“ gesteuerten Führer auch im Verhältnis zu ihren lokalen Mitstreitern in der Ostukraine – den eigentlichen Rebellen – Unabhängigkeit und Flexibilität.

Klassische Beispiele für Führerfiguren unter Bedingungen hybrider Konflikte sind die Protagonisten der ersten Generation ostukrainischer Rebellenkommandeure: Igor „Strelkow“ Girkin und Alexander Borodai. Borodai ist der Intellektuelle: Politologe, Sozialphilosoph, Journalist. Strelkow begeistert sich derweil für blutige Scharmützel: Transnistrien, Balkan und Kaukasus, dazwischen „reenactment“, inszenierte Schlachten der Vergangenheit. Beiden wird eine FSB-Vergangenheit unterstellt, und beide waren Ende der neunziger Jahre als Reporter der rechtsgerichteten Wochenzeitschrift Sawtra (Morgen) im Nordkaukasus unterwegs.

Jahre später stehen sie im Dienst eines reichen Moskauer Unternehmers namens Konstantin Malofejew. Er ist Nationalist, Monarchist und russisch-orthodox bis ins Mark. Im März 2014 halten Strelkow und Borodai sich zumindest zeitweise auf der Krim auf und gehen dort dem späteren Republikpräsidenten Sergej Aksjonow zur Hand. Kurze Zeit später tauchen sie in der Ostukraine auf, wo sich Rebellen zum Kampf für ein unabhängiges Noworossija formieren.

Ex-Rebellenführer kehrten nach Rußland zurück

Nach dem international nicht anerkannten Referendum in den „Volksrepubliken“ Lugansk und Donezk Mitte Mai 2014 wird Borodai zum Donezker Ministerpräsidenten ernannt. Strelkow-Girkin steigt zum Oberbefehlshaber der Volksmiliz auf. Als die Offensive der ukrainischen Armee beginnt, flieht er im Juli aus Slowjansk, einem Brückenkopf im Nordwesten der Rebellengebiete – nicht ohne zuvor „Marodeure und Plünderer“ erschießen zu lassen. Später verbreitet er die Version, die malaysische MH17 sei mit Leichen beladen gewesen.

Das Faß ist übervoll; Borodai und Strelkow-Girkin verschwinden von der Bildfläche und tauchen später in Rußland wieder auf. Seitdem ist es still geworden um die beiden.

Der Charme der hybriden „Private-Public-Partnership“ ist – aus Sicht des Kreml jedenfalls – die delegierte Verantwortung nach dem „Arm’s-length-Prinzip“. Indem er die politische Führung der Operation quasi privatisiert, wäscht der Staat seine Hände in Unschuld. Nachteilig ist dabei, daß ihm nur mehr ein begrenzter Durchgriff bleibt. Die Akteure an der Front genießen ein hohes Maß an Freiheit, wobei das Ergebnis nicht immer dem Interesse des eigentlichen Auftraggebers entspricht.

Als Fehlgriff erwies sich jedenfalls Strelkow-Girkin. Weder die Einnahme von Slowjansk noch den Abschuß von MH17 hat er verhindert. Mit seinen Äußerungen hat Strelkow-Girkin die antirussischen Urteile in der Öffentlichkeit nur noch intensiviert.

Der Drang der Rebellen nach Unabhängigkeit und ihre Angst, in einem Frieden alles zu verlieren, bilden mit die größten Hindernisse für einen wirksamen Waffenstillstand. Reisende in die betroffenen Gebiete bestätigen übereinstimmend, wie tief die Bande mit der Restukraine durchschnitten sind. Das Gespenst Noworossija ist erwacht: Äquidistanz zu Moskau und zu Kiew. Es ist das Erbe der Schwarzmeersteppe – der Himmel kann nicht hoch und der Zar nicht weit genug weg sein.