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© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/15 / 13. Februar 2015

Die Suche nach der Seele des Neoliberalismus
Der Berliner Kulturwissenschaftler Byung-Chul Han untersucht die Psychopolitik als neue Machttechnik des globalen Kapitalismus
Felix Dirsch

Der aus Korea stammende Berliner Kulturwissenschaftler Byung-Chul Han ist erst jüngst in der Süddeutschen Zeitung dadurch hervorgetreten, der Pegida-Demonstration jede Legitimität für Proteste abzusprechen, da in Dresden schließlich nur wenige Muslime lebten. Damit bot auch er das bemerkenswerte, allen üblichen Phrasen von „Weltoffenheit“ entgegenstehende Argument auf, welches letztlich jede Stellungnahme über den Tellerrand lokaler Befindlichkeiten hinaus per se in Frage stellt.

In der jüngsten Publikation geht es nun um den Lieblingspappkameraden aller Intellektuellen, der schon lange vor 2007 das Kritikerherz hochschlagen hat lassen: den Neoliberalismus. Dieser wird vom Verfasser als „Kapitalismus des Gefällt-mir“ definiert.Tatsächlich ist der Neoliberalismus in den letzten Jahren so oft auseinandergenommen worden, daß jeder neue Versuch rechtfertigungsbedürftig ist. Han bemerkt als dessen Wesenszug die subtil-effektive Verwendung einer als „psychopolitisch“ bezeichneten Machttechnik. In diesem Punkt will er Michel Foucault weiterdenken, der besonders den Übergang von der traditionellen, souverän-absolutistischen Macht zum Regime der Disziplinartechnik mittels Schulen, moderner Gefängnisse, Kasernen, Spitäler und anderer Einrichtungen im späten 18. Jahrhundert in luziden Studien untersucht hat.

Kampf gegen die neoliberale „Bewußtseinsindustrie“

Heute ist die Macht uniformierter Institutionen, die das Individuum formen wollen, längst stark eingeschränkt. Han kann sich auf Bernard Stiegler berufen, der anstelle der Biomacht die „Psychotechnologien der Psychomacht“ treten sieht. Doch Han geht es nicht nur um die Herausarbeitung der neuen neoliberalen Herrschaftstechniken, sondern auch um deren vehementer Ablehnung. Der Begriff „Ausbeutung“ wird so weit gedehnt, daß praktisch alles darunter subsumiert werden kann: Managementworkshops, Persönlichkeitsseminare, Selbstoptimierungskurse, allerlei Selbstfindungsveranstaltungen und vieles mehr. Der einzelne, so die Interpretation, merkt seine Instrumentalisierung als Objekt nicht. Man muß schon Kenner des Wissensgebietes wie Han sein, um den „Verblendungszusammenhang“ (Adorno) demaskieren zu können. Es wirkt fast wie ein seichter Aufguß von Adornos und Horkheimers Tadel der Kulturindustrie, wenn Han sein schwerstes Geschütz abfeuert: die These von der Destruktion der menschlichen Seele durch die neoliberale „Bewußtseinsindustrie“.

Im Vergleich zu diesen Möglichkeiten kommt Orwells „Big Brother“ als harmloser Verwandter daher. Daß der Normalbürger die Verschlechterung seines seelischen Zustandes nicht bemerkt, bringt Han in Zusammenhang mit der omnipräsenten „Gamifizierung“ der Gegenwartskultur. Auch eine Erörterung des neuen Zauberwortes „Big Data“ und seiner vielfältigen Inhalte fehlt nicht. Han betrachtet die riesige Fülle der Informationen, die von Suchmaschinen planlos und ohne eine bestimmte Wertigkeit präsentiert werden, als unvernünftig im Sinn Hegels. Letzterer insistierte bekanntlich darauf, daß der Begriff das Wissen generiere, was in der Epoche einer unermeßlichen Anzahl an Daten nicht mehr möglich ist. Zappen durch die uferlosen Weiten des Netzes kann in der Tat schwerlich als Begreifen gelten. Insofern ist dieser Abschnitt der Untersuchung Hans noch der lesenswerteste und plausibelste. Aufgrund der Mengen an Bytes und Bits ist deren Verarbeitung in einem kohärenten theoretischen Zusammenhang überaus schwierig, weshalb manche Theoretiker – wohl etwas verfrüht – vom „Ende der Theorie“ sprechen.

Die Darstellung endet mit Anmerkungen zum „Idiotismus“. Spötter dürften behaupten, daß dieser Schluß nicht zufällig sei. In der Tat werden handelnde Subjekte mehr oder weniger offen zu Idioten erklärt, nur weil sie sich marktkonform und interessengeleitet verhalten. Warum soll es schlecht sein, wenn der Bürger manchmal in der Rolle des Konsumenten auftritt? Wird er degradiert, nur weil er Bedürfnisse besitzt und sie zu befriedigen versucht? Das ist auch dann nicht illegitim, wenn sie durch die vielfältige Werbeindustrie erst geweckt werden, was gewiß häufig der Fall sein dürfte. An vielen Stellen des Pamphlets festigt sicht der Eindruck, daß der Autor mit allen Mitteln auf den Zug der Neoliberalismus-Schelte aufzuspringen beabsichtigt, vieles jedoch ausgesprochen unausgegoren daherkommt.

Byung-Chul Han: Psychopolitik.

Neoliberalismus und die neuen Machttechniken. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014, gebunden, 124 Seiten, 19,99 Euro