© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/15 / 20. Februar 2015

Landtagswahlen in Hamburg
Im Westen was Neues
Dieter Stein

Auf einen AfD-Wähler kamen in Hamburg statistisch nur zweieinhalb CDU-Wähler. Das sagt alles über den historischen Absturz der Union. Die Wahlen in der Hansestadt lassen sich nur begrenzt bundespolitisch deuten. Lokale Faktoren dominierten: Der Erste Bürgermeister, Olaf Scholz, genießt in seiner steif-nüchternen Art große Popularität, die Wirtschaft brummt, es gab keine Wechselstimmung. Das Desaster mit der Elbphilharmonie wird dem Vorgänger Ole von Beust (CDU) angelastet.

Der bereits totgesagten FDP gelang in Hamburg unter Führung von Katja Suding die von Parteichef Lindner ersehnte Wiederauferstehung. In Bremen könnte die Serie mit der ähnlich alerten Spitzenkandidatin Lencke Steiner (29) nach dem Hamburger Modell fortgesetzt werden. Immerhin hat sich die parteilose Bremerin Steiner (geborene Wischhusen) als Familienunternehmerin einen Namen gemacht.

Der AfD wächst mit der FDP ein plötzlich reanimierter Mitbewerber zu, der alles daransetzen wird, das freiheitlich-liberale Feld nicht kampflos preiszugeben. In der Euro-Frage hat die FDP zwar kapituliert und marktwirtschaftliche Grundsätze geopfert. Auf anderen Feldern der Wirtschafts- und Steuerpolitik wird sie die Herausforderung aber aufnehmen.

Die AfD blieb nur auf den ersten Blick unter ihren Möglichkeiten. Bis vor zwei Wochen überschattete nämlich das Bild der Partei ein in aller Öffentlichkeit mit gegenseitigen Beleidigungen ausgetragener Führungsstreit, der die AfD an die Grenze der Spaltung führte. Gift für jeden Wahlkampf. Erst zwei Wochen vor der Hamburg-Wahl wurde die Auseinandersetzung auf dem Bremer Bundesparteitag entschieden und bemühten sich die Kontrahenten, wieder Geschlossenheit herzustellen. Vor diesem Hintergrund sind 6,1 Prozent ein Erfolg und das erste westdeutsche Parlament erobert.

Wähler schätzen nichts weniger als zerstrittene Parteien. Die Pressekonferenz nach der Wahl in Berlin zeigte, daß der Flügelkampf noch nicht gänzlich beigelegt ist und Wunden nicht geschlossen sind. Verwundern muß, daß im Hamburger Wahlkampf auf die Einladung von Frauke Petry, Alexander Gauland und Konrad Adam als Vertreter des konservativen Flügels – vor dem Hintergrund des Führungsstreites – offenbar demonstrativ verzichtet wurde. Für den um sein Gewicht besorgten liberalen Flügel ist es indes psychologisch wichtig, mit Hamburg eine „eigene Bastion“ errungen zu haben.

Die AfD bespielt, wenn sie aus ihren Fehlern lernt, ein breiteres Feld politischer Positionen und setzt unterschiedliche Temperamente und Charaktere je nach Region und Bundesland lageangepaßt ein. Daß in Hamburg die FDP an ihr vorbeizog, sollte die AfD als Warnschuß ansehen. Als Verteidigerin der Idee des Marktes muß es ihr aber Ansporn sein. Das bürgerliche Spektrum differenziert sich aus.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen