© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/15 / 20. Februar 2015

Arundhati Roy. Die indische Schriftstellerin rührt am Heiligenschein Mahatma Gandhis
Die Gerechte
Wolfgang Kaufmann

Große Männer machen große Fehler“, so Karl Popper. Das gilt auch für Mahatma beziehungsweise Mohandas Karamchand Gandhi, der den Juden empfohlen hatte, für Hitler zu beten, und darüber hinaus ein schier unendliches Verständnis für den muslimischen Lynchmob in Indien entwickelte. Trotzdem wurden Kritiker der Ikone der Gewaltlosigkeit, welche zu den am meisten verklärten Personen des 20. Jahrhunderts gehört, in der Vergangenheit oft gnadenlos niedergeschrieen.

Jetzt begeht wieder jemand das Sakrileg, am Mythos vom radikalpazifistischen Befreiungskämpfer zu rütteln – aber plötzlich ist alles anders, weil die Angriffe von Suzanna Arundhati Roy kommen, einer Schriftstellerin, die 1961 im nordostindischen Shillong geboren wurde und 1997 mit ihrem ersten (und einzigen) Roman „Der Gott der kleinen Dinge“ Furore machte. Diese genießt nämlich mittlerweile selbst den Status einer Vorkämpferin für das Gute auf der Welt. Das liegt daran, daß sie sich nach ihrem Bucherfolg zu einer eloquenten Galionsfigur der Umweltschutz-, Friedens- und Antiglobalisierungsbewegung aufschwang und dabei auch immer wieder durch scharfe Tiraden gegen die USA und deren Verbündete auffiel. So äußerte Roy nach dem 11. September 2001, Osama bin Laden sei aus den Exkrementen von Präsident George W. Bush entstanden und man könne ja wohl schwerlich eine andere Antwort auf die nukleare Bedrohung seitens der USA erwarten als Terrorismus. Darüber hinaus bezeichnete die selbsternannte „Weltbürgerin und Aktivistin“ die Demokratie in den kapitalistischen Staaten des Westens abschätzig als „Hure“.

Das brachte ihr die mehr oder weniger explizite Sympathie linker Kreise, einschließlich entsprechend disponierter Medienvertreter hierzulande ein. Und genau deshalb stößt nun ihre vehemente Gandhi-Kritik auf offene Ohren, wie diverse Beiträge auf den Feuilletonseiten und im GEZ-Fernsehen beweisen.

Andererseits ist aber auch die Art der Vorwürfe bemerkenswert: Roy wirft dem Mahatma eben gerade nicht Fehler wie die eingangs genannten vor. Vielmehr will sie entdeckt haben, daß Gandhi „ein entschiedener Verfechter der Rassentrennung“ gewesen sei und sich zudem „schockierend“ negativ über Schwarze, Arbeiter, Frauen und andere Benachteiligte geäußert habe. Dazu komme seine rückhaltlose Verteidigung „einer der widerwärtigsten, gewalttätigsten Gesellschaftsformen der Welt: der indischen Kastenordnung, eines Systems, schlimmer als die Apartheid.“ Ob diese Anwürfe, die aus der kontextunabhängigen Interpretation einiger ausgewählter Aussagen von Gandhi durch die Brille einer modernen, feministisch angehauchten Intellektuellen resultieren, allerdings ausreichen werden, die öffentliche Wahrnehmung des indischen Nationalhelden nachhaltig zu verändern, muß sich erst noch erweisen.

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