© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/15 / 20. Februar 2015

In den Vereinen Fuß gefaßt
NPD: Eine wissenschaftliche Studie stellt die Frage nach der gesellschaftlichen Verankerung der Partei in Ostvorpommern
Andre Freudenberg

Wer eine wissenschaftliche Arbeit über die NPD schreibt, bewegt sich auf „vermintem Gelände“: Zum einen wird eine deutliche inhaltliche Distanz erwartet – eine tendenziöse „Schmähschrift“ würde dem wissenschaftlichen Anspruch aber gleichfalls zuwiderlaufen. Dieser Erwartung zu entsprechen, ist Alexander Lechler durchaus gelungen. Der 1976 geborene Politikwissenschaftler möchte mit seiner als Taschenbuch erschienenen Studie „Die NPD in Ostvorpommern“ erkunden, ob es sich bei der Partei um ein Sammelbecken von Protestwählern oder bereits um eine etablierte Partei handelt.

Zunächst entspricht seine NPD-Einordnung dem wissenschaftlichen common sense, der der Partei ein „Agieren gegen den demokratischen Verfassungsstaat“, in letzter Konsequenz das Ziel der „Systemüberwindung“ attestiert. Hierbei macht er auch auf die weithin weniger bekannten „egalitären“ Programmpunkte, zum Beispiel in der Wirtschaftspolitik aufmerksam, die sich als „raumorientierte Volkswirtschaft“ an die Autarkiepolitik der NSDAP anlehne. Daß es Wahlerfolge der NPD bislang nur in den östlichen Bundesländern gegeben hat, erklärt er mit „mentalen Prägungen“, die noch aus der SED-Diktatur herrührten, aber auch mit dem kollektivistischen und egalitären Denken, welches die NPD geschickt bediene, beispielsweise mit dem Wahlslogan: „Die DDR war das bessere Deutschland.“

Was ist anders als im Rest der Republik?

Da die NPD jedoch – im Gegensatz zur Linkspartei – auch innerhalb der früheren DDR nur in wenigen Gegenden reüssieren kann, müssen noch einmal spezielle Voraussetzungen erfüllt sein, die der Autor zu ergründen versucht. Was ist in NPD-Hochburgen anders als im Rest der Republik? Lechler richtet seinen Fokus dafür auf Mecklenburg-Vorpommern, und speziell auf den Landesteil Ostvorpommern. Hier greift er sich die Stadt Anklam (Zweitstimmenergebnis 11,5 Prozent) und das Dorf Postlow (28,9 Prozent) heraus.

Daß zunächst Faktoren wie Strukturschwäche, Abwanderung (insbesondere der Intelligenz), Arbeitslosigkeit, Armut und das Fehlen einer bürgerlichen Unternehmenskultur eine Rolle spielen, wird auch vom Autor konstatiert. Schließlich wird die Region zu den ärmsten Regionen der EU gezählt. Neben der Peripherielage fehle in Ostvorpommern zudem eine prägende größere Stadt als „Oberzentrum“. Die Menschen dort seien „verunsichert und unzufrieden“. Hinzu komme die mangelnde Verankerung der etablierten Parteien.

Um nicht bei Allgemeinplätzen stehenzubleiben, bedient sich der Autor Leitfadeninterviews, die er mit Bürgern sowie dem NPD-Politiker Michael Andrejewski führte. Diese fördern Erstaunliches zutage: In den Dörfern sei tatsächlich etwas entstanden, was es in den alten Bundesländern, aber auch in vielen Gegenden der östlichen Länder so nicht gebe: Den Rechtsextremisten, die neben der NPD auch die Kameradschaftsszene umfassen, sei es gelungen, in den Vereinen Fuß zu fassen. Eine soziale Ausgrenzung gebe es daher faktisch kaum noch. Auch Veranstaltungen verliefen störungsfrei, da sogenannte Antifaschisten, außer in Greifwald, so gut wie nicht vorhanden seien.

Die gewisse soziale Akzeptanz führt der Autor auch darauf zurück, daß sich die Funktionäre vor Ort durchaus ein gewisses bürgerliches Erscheinungsbild zugelegt hätten, sei es durch „höfliches Auftreten“ als auch durch den Einsatz für Bürger, etwa durch eine kostenlose Hartz-IV-Beratung („Kümmerer-Partei“). Auf die mediale Darstellung habe dies freilich wenig Auswirkung, hier überwiege das Negative.

Ob man diese ansatzweise Verankerung der Partei in der Region als Fortschritt oder als Gefahr wertet, hängt vom Auge des Betrachters ab. Lechler gibt den anderen Parteien den Ratschlag, wieder mehr Instinkt zu beweisen und die Fähigkeit zurückzugewinnen, „Alltagsprobleme zumindest zu benennen“.

Alexander Lechler: Die NPD in Ostvorpommern: Eine etablierte Partei oder ein Sammelbecken von Protestwählern? united p.c. 2014, broschiert, 312 Seiten, 20,30 Euro

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