© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/15 / 20. Februar 2015

Schiedsgerichte bringen Rechtssicherheit
TTIP: Das Freihandelsabkommen steht in der Kritik wegen des drohenden Souveränitätsverlustes – zu Recht?
Markus Brandstetter

Auf Zigarettenpackungen in Australien prangen seit einiger Zeit ekelhafte Bilder, die todkranke Raucher, ihre kaputten Zähne, Raucherbeine und ihre vom Lungenkrebs ausgemergelten Körper im letzten Stadium des Verfalls zeigen. Sämtliche Zigarettenschachteln, die in Australien verkauft werden, müssen diese Bilder in einer genau spezifizierten Größe zeigen, weil die australische Regierung das so beschlossen hat.

Das paßt dem amerikanischen Zigarettenhersteller Philip Morris (Marlboro) gar nicht, weshalb das Unternehmen nun von der australischen Regierung Entschädigung verlangt. Vor einem australischen Gericht wären die Amerikaner mit einem solchen Begehren chancenlos, deshalb ist Philip Morris auch nicht vor Gericht gezogen, sondern hat ein internationales Investitionsschiedsverfahren angestrengt – und da sieht die Sache schon ganz anders aus.

Ein Investitionsschiedsverfahren, das auf englisch „Investor-state dispute settlement“ heißt und häufig nur noch mit dem Akronym „ISDS“ bezeichnet wird, ist ein Vehikel des internationalen Rechts. Dieses Instrument erlaubt es einem Unternehmen aus Land A (hier USA), das in Land B (Australien) investiert hat, gegen Land B ein Streitbeilegungsverfahren vor einem internationalen Schiedsgericht anzustrengen, wenn das Unternehmen aus dem Land A glaubt, in Land B seien seine international garantierten Rechte verletzt worden. Die Voraussetzung für einen solchen Prozeß ist die Tatsache, daß beide Länder einem ISDS-Verfahren zugestimmt haben, wodurch sie sich verpflichten, Entscheidungen eines anerkannten internationalen Schiedsgerichts anzuerkennen und ihre Vollstreckung im eigenen Land durchzusetzen.

Das hört sich kompliziert an, ist aber seit Jahrzehnten erprobte Praxis. Jedes Jahr werden auf der ganzen Welt an die 50 zivilrechtliche Auseinandersetzungen zwischen Unternehmen oder zwischen Unternehmen und Staaten auf diesem Weg entschieden. Beispiele gibt es genug.

EU-Länder haben 1.400 Verträge mit anderen Staaten

2008 hat das Schiedsgericht der Weltbank den Eigentümern einer venezolanischen Goldmine, die von Staatschef Hugo Chavéz verstaatlicht worden war, eine Entschädigung von 740 Millionen. US-Dollar zuerkannt. Im Juli 2014 entschied der Schiedsgerichtshof in Den Haag, daß die Zerschlagung der Ölgesellschaft Yukos durch den russischen Staat internationales Recht verletze. Den ehemaligen Anteilseignern von Yukos wurden 50 Milliarden US-Dollar zugesprochen.

Ebenfalls unter Berufung auf die Verletzung internationalen Rechts verlangt der schwedische Energiekonzern Vattenfall via Schiedsgerichtsverfahren von der deutschen Bundesregierung Kompensation für seine Verluste, die dem Unternehmen durch den 2011 beschlossenen Ausstieg aus der Kernenergie entstanden.

Obwohl in der Öffentlichkeit kaum bekannt, sind internationale Schiedsverfahren weit verbreitet. Allein die EU-Länder haben 1.400 Verträge mit anderen Staaten geschlossen, in denen vereinbart wurde, die Lösung von Konflikten nicht nationalen Gerichten, sondern internationalen Schiedsstellen zu übertragen. Die Anzahl der Handelsstreitigkeiten, die auf den Tischen von Schiedsgerichten landen, ist in den letzten zwanzig Jahren rasant gewachsen. Ließen sich die Fälle 1995 noch an einer Hand abzählen, sind es heute weltweit jedes Jahr an die 50 Verfahren.

Erstaunlicherweise hat diese der Öffentlichkeit kaum bekannte Praxis in den letzten Monaten große Kritik auf sich gezogen. Das Stichwort lautet Transatlantisches Freihandelsabkommen (TTIP) zwischen den USA und der EU, in dessen Rahmen auch ein wechselseitiges Schiedsgerichtsverfahren beschlossen werden soll. Die Kritiker sagen, dadurch würden Schiedsgerichtsverfahren nationales Recht aushebeln und Demokratie, Umwelt- und Gesundheitsschutz in der EU untergraben. Bislang transparente, öffentliche und faire Prozesse würden dem Feilschen, Mauscheln und Pokern hochbezahlter Wirtschaftsanwälte in den Konferenzzimmern von Hotels und Großkanzleien weichen.

Verträge beinhalten Souveränitätsklauseln

An diesen Vorwürfen ist etwas dran – aber nicht viel. Es ist richtig, daß solche bilateralen Schiedsgerichtsverfahren nicht öffentlich und die Schiedsrichter im Hauptberuf nicht selten Wirtschaftsanwälte sind. Der Eindruck, daß das Transatlantische Freihandelsabkommen Unternehmen erlaubt, die Karten zu ihren Gunsten zu mischen, ist also begreiflich.

Aber all das bedeutet noch lange nicht, daß die internationale Schiedsgerichtsbarkeit rechtswidrigen Praktiken Tür und Tor öffnete und für den Mann auf der Straße im Endeffekt sogar gefährlich wäre – die Staaten lernen nämlich dazu. Das Freihandelsabkommen zwischen Kanada und der Europäischen Union zum Beispiel beinhaltet bereits Klauseln, die besagen, daß legitime nationalstaatliche Maßnahmen zum Schutz von Gesundheit, Sicherheit und Umwelt keine indirekten Enteignungen darstellen, die es Unternehmen aus dem jeweils anderen Land erlaubten, die Schiedsstellen anzurufen.

Wie so oft im Leben wird auch hier nichts so heiß gegessen, wie es vorher gekocht wurde. Schiedsgerichtsverfahren bringen internationalen Unternehmen Rechtssicherheit, sie erleichtern Investitionen und schaffen damit letztlich Arbeitsplätze. Jetzt geht es nur noch darum, den berechtigten Wunsch der Unternehmen nach rascher und effizienter Gerichtsbarkeit mit dem ebenso berechtigen Wunsch der Bürger nach Schutz seiner Verbraucherrechte und Sicherheit zu vereinen.

Foto: Raucher, australische Tabak-Warnhinweise: Philip Morris war unzufrieden mit den harten Vorgaben in Australien und klagte dagegen

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