© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/15 / 20. Februar 2015

„Ich führe einen Krieg der Ideen“
Kampfansage: Der Journalist und Buchautor Eric Zemmour sorgt in Frankreich für Aufregung
Alain de Benoist

Seit einigen Monaten hat das „Phänomen Zemmour“ Frankreich fest im Griff. Phänomenal ist nicht zuletzt der Erfolg seines neuen Buchs „Le suicide français“ („Der französische Selbstmord“), von dem seit seiner Veröffentlichung am 1. Oktober knapp eine halbe Million Exemplare verkauft wurden. In ganz Frankreich kamen Tausende von Zuhörern zu Zemmours Lesungen und Vorträgen. Freilich hat dieser Erfolg auch eine Kehrseite: Die öffentlichen und medialen Anfeindungen gegen ihn häufen sich.

Eric Zemmour wurde 1958 in der Pariser Vorstadt Montreuil als Kind einer jüdischen Familie geboren, die Algerien im Zuge der Repatriierungen verlassen hatte. Nach einem Studium an der Pariser Elitehochschule Institut d’études politiques wandte er sich bald dem tagespolitischen Journalismus zu; seit 1996 arbeitet er für Le Figaro. Durch die Moderation beziehungsweise Mitarbeit an verschiedenen Radio- und Fernsehsendungen wurde er einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.

In „Le suicide français“ zieht Zemmour die Bilanz des Verfalls Frankreichs im Laufe der vergangenen vierzig Jahre. Für diesen Verfall macht er im wesentlichen drei Ursachen verantwortlich: den Geist des „Mai 1968“, die Zerstörung der französischen Souveränität unter der Herrschaft der europäischen Institutionen und die durch eine massive unkontrollierte Einwanderung entstandenen sozialen Pathologien. Er gibt sich von Anfang an als bekennender Konservativer, wenn nicht gar Reaktionär zu erkennen. Seine Kampfansage ist so vernichtend wie umfassend: Sie richtet sich gegen die Globalisierung, die „Feminisierung“ der Gesellschaft, die mit einer Autoritätskrise und der Kapitulation des Mannes einhergeht, die Auflösung des französischen Geistes unter Einwirkung des Kults der Verspottung, den Verzicht der Eliten auf jegliche Steuerung der Wirtschaft und der Einwanderung, die Kluft zwischen Volk und Politikern jeder Couleur, die Schwulenehe und die „Gender“-Ideologie.

Zemmours Buch ist ein Gesellschafts-phänomen, dessen Einfluß weit über seinen verlegerischen Erfolg hinausgeht, wie Meinungsumfragen bewiesen haben. Demnach stimmen 37 Prozent der Franzosen (20 bzw. 53 Prozent unter denjenigen, die sich als „links“ bzw. „rechts“ identifizieren) Zemmours Aussagen zu, erkennen sich darin wieder, entdecken in seinem Buch Dinge, die sie sich selber nicht zu sagen trauen oder nicht in so klare Worte fassen können. Dieser öffentliche Ritterschlag ist eine Bestätigung seiner Thesen, da mögen Kritiker noch so lautstark protestieren, Zemmour habe lediglich Binsenweisheiten zusammengetragen.

Zemmour geht jedoch noch weiter. Das größte Verdienst seines Buches besteht darin, daß er seine Leser zur Selbstkritik anhält und anregt. Daß Frankreich sich seit vierzig Jahren selbst zerstört, liegt Zemmour zufolge vor allem daran, daß es einer Ideologie zum Opfer gefallen ist – was wiederum beweist, daß die Rede vom „Ende der Ideologien“ blanker Unsinn ist. „Wir sind der Ideologie so stark verhaftet wie nie zuvor“, sagt er gerne. Diese Ideologie, die sich Schritt für Schritt immer mehr durchsetzte, verdanken wir nicht nur der Linken, sondern vor allem der bürgerlich-liberalen Rechten. Sie geht insofern weit über den politischen Bereich hinaus, als sie aus einer kulturellen Intervention resultiert, die mit einem hohen Maß an Geduld und Disziplin ins Werk gesetzt wurde und auf die „Dekonstruktion“ der strukturellen Grundlagen unserer Gesellschaft abzielt.

Zemmours eigenes Programm ist nicht weniger kompromißlos: „Ich will die Dekonstrukteure dekonstruieren.“ Stellvertretend nennt er Namen wie Michel Foucault, Jacques Derrida, Pierre Bourdieu, Gilles Deleuze und Félix Guattari – Autoren, mit denen sich vermutlich die wenigsten Rechten ernsthaft auseinandergesetzt haben. Zemmour hingegen zeigt, daß er sich sehr wohl bewußt ist, was auf dem Spiel steht, wenn er sagt: „Mein politisches Handeln ist insofern ‘gramscianisch’, als ich im Rahmen des Kampfes um die geistige Hegemonie einen Krieg der Ideen führe.“

Er fügt hinzu: „Ich glaube, daß meinem Buch ein wesentliches Verdienst zukommt: Es macht die Realität und Intensität des ideologischen Krieges für alle begreiflich. Die Franzosen nehmen seit Jahren stillschweigend hin, daß er ihren Lebensstil zerstört und sie unglücklich macht. Die Alternative liegt in einem längst überfälligen Bewußtseinswandel über die herkömmlichen Klüfte hinweg.“

Weltanschaulich steht Zemmour, ein gaullistischer und bonapartistischer „National-Republikaner“, der sich nach dem napoleonischen Reich zurücksehnt, irgendwo zwischen Jean-Pierre Chevènement und Marine Le Pen. (Seine Ablehnung Europas ist so stark, daß er die deutsche Wiedervereinigung als „Katastrophe“ bezeichnete.)

Wenn er den „angelsächsischen Liberalismus“ anprangert – den „globalen Markt, der einer kleinen Elite ermöglicht, sich immer mehr zu bereichern“ und das „Individuum zum König erhebt“, die „heimatlosen Eliten, die die Souveränität des Volkes noch nie akzeptiert haben und eher der wirtschaftlichen Globalisierung als den Interessen der Nation Treue schwören“ –, wenn er der Rechten und der Linken vorwirft, erstere habe den Staat im Namen des Liberalismus, letztere die Nation im Namen des Universalismus preisgegeben und beide damit Verrat am Volk begangen, wenn er sich auf Karl Marx beruft, um dem Kapitalismus vorzuwerfen, er habe die traditionellen Gesellschaften in den „eisigen Gewässern des egoistischen Kalküls“ ertränkt, dann spricht er ganz offensichtlich nicht im Namen einer wie auch immer gearteten politischen Gesinnung, sondern er spricht im Namen des Volkes. Genau darin liegt die Wucht seiner Worte.

Genau daraus erklärt sich aber auch der Furor seiner Gegner und der Preis, den Zemmour für seine Stellungnahmen hat zahlen müssen. In der Folge der Auseinandersetzungen um sein Buch kündigte der Sender i-Télé, wo Zemmour seit 2003 an einer politischen Gesprächsrunde teilnimmt, ihm die Zusammenarbeit auf. Auch auf den Radiosender RTL wurde bereits Druck ausgeübt, seine morgendliche Kurzchronik unter dem Titel „Z comme Zemmour“ („Z wie Zemmour“) einzustellen – bislang ohne Erfolg, allerdings wird die Sendung mittlerweile nur noch zweimal wöchentlich ausgestrahlt.

Nach dem Erscheinen eines Interviews mit Zemmour in der italienischen Zeitung Il Corriere della Sera, in dem ihm zu Unrecht vorgeworfen wurde, er wolle „die Einwanderer deportieren“, forderte Innenminister Bernard Cazeneuve „sämtliche Republikaner auf, zu reagieren“. Der sozialistische Fraktionschef in der Nationalversammlung, Bruno Le Roux, forderte einen Medienboykott gegen ihn, während Regierungssprecher Stephane Le Foll in dem Essayisten eine „Gefahr“ sieht, die es zu „bekämpfen“ gilt. Zuvor hatte der französische Ministerpräsident bereits verlautbart, Zemmours Buch habe es „nicht verdient, gelesen zu werden“.

Eric Zemmour läßt sich von alledem nicht beirren. Wenngleich ihm seine geistige Unabhängigkeit über alles geht, scheint ihm die Rolle als Sprecher aller derjenigen, die die Politische Korrektheit und das „Einheitsdenken“ nicht mehr ertragen, doch nicht allzusehr zu mißfallen. In Frankreich, sagt er, falle „der Klassenkampf mit einem ethnischen Kampf auf dem eigenen Boden“ zusammen. Eben deswegen sei der Front National heute die erste Partei Frankreichs. Eben deswegen konnte der kommissarische Vorsitzende der Sozialistischen Partei, Jean-Christophe Cambadélis, jüngst zu der verblüffenden Einsicht gelangen: „Die Linke hat den Krieg der Ideen seit einem Jahrzehnt verloren.“

Foto: Eric Zemmour bei der Aufzeichnung der Fernsehsendung: Inzwischen hat ihm der Sender i-Télé die Zusammenarbeit aufgekündigt

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen