© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/15 / 20. Februar 2015

Starke Frauen im Eis und in der Wüste
Rückblick auf die Berlinale: Iranischer Film gewinnt Hauptpreis / Film von Andreas Dresen über die Nachwendezeit in Leipzig überzeugt nicht
Wolfgang Paul

Am Ende waren alle in Berlin zufrieden. Denn mit dem iranischen Film „Taxi“ von Jafar Panahi hatte die Jury unter ihrem Präsidenten Darren Aronofsky einen würdigen Gewinner des Goldenen Bären gefunden. Diese Taxifahrt durch die Straßen Teherans, die am zweiten Festivaltag zu sehen war, blieb bis zuletzt im Gedächtnis, weil sie mit bitterem Humor über das Leben in einer Diktatur Auskunft gibt. Der mit Berufsverbot belegte Regisseur hat sich selbst ans Steuer gesetzt, eine Kamera am Armaturenbrett befestigt und sich und seine oft heftig diskutierenden Fahrgäste gefilmt. Illegal gedreht und aus dem Land geschmuggelt, ist „Taxi“ ein Dokument des Widerstandes, das in Teheran auch so verstanden wird. Panahi bekam kein Ausreisevisum, für ihn nahm seine kleine Nichte, die im Film auch mitspielt, den Preis entgegen, und Festivalchef Dieter Kosslick will Panahi immer wieder einladen – bis er kommen darf.

Ehrenauszeichnung für Wim Wenders

Kosslick hatte die diesjährige Berlinale als ein Festival der starken Frauen angekündigt, und die drängten auch mit Vehemenz auf die Leinwand. Juliette Binoche als die Frau des Polarforschers Robert Peary, die ihrem Mann durch Eis und Schnee folgt und dabei sich und ihre Begleiter in Gefahr bringt, war die Protagonistin im Eröffnungsfilm „Nadie quiere la noche“ von Isabel Coixet. Werner Herzog ließ Nicole Kidman als Gertrude Bell auftreten, die im Nahen Osten als Forschungsreisende durch die Wüste zieht, um mit ihren Erkenntnissen dem britischen Militär bei der Neuordnung der Region um 1920 zu dienen. Daß sie ein weiblicher Lawrence von Arabien sein soll, mußte Herzog schon dazusagen, denn in seinem Film „Queen of the Desert“ interessiert er sich vor allem für die zwei eindrucksvoll bebilderten Liebesgeschichten, die seine Heldin durchlebt und durchleidet.

Mit Spannung war Sebastian Schippers „Victoria“ erwartet worden. In einer einzigen Einstellung verfolgt eine rasante Handkamera eine junge Spanierin durch das frühmorgendliche Berlin. Aus einer Disco kommend, lernt sie vier Berliner Jungs auf der Straße kennen und zieht mit ihnen durch die Stadt. Man „macht Party“ auf dem Dach eines Wohnhauses, mit einem der Jungs setzt sie sich ab, um dann in einen Bankraub hineingezogen zu werden. 140 Minuten beginnen zäh mit dem Gequatsche der Halbstarken, das einem schon gehörig auf die Nerven gehen kann. Dann aber nimmt der Film Fahrt auf und wird zu einer modernen Hommage an den amerikanischen Gangsterfilm. Zugleich ist „Victoria“ ein Berlinfilm wie Schippers Erstling „Absolute Giganten“ ein Hamburgfilm war.

Dagegen ist Andreas Dresens „Als wir träumten“ ein Leipzigfilm oder soll es zumindest sei. Dresens Leipziger Jungs, zufällig auch vier, haben allerdings keinen sächsischen Akzent. Der scheint Kassengift zu sein, ist also nur für Nebenfiguren erlaubt. Der Film über die Nachwendezeit kommt mit schnell geschnittenen Disco-Einlagen daher, ein moderner Dresen gewissermaßen, kann aber trotz Kohlhaase-Drehbuch (nach einem Roman des in Leipzig lebenden Schriftstellers Clemens Meyer) nicht überzeugen. In den Kinos startet der Film am Donnerstag nächster Woche.

Bleibt der Bericht von einer noch größeren Enttäuschung: Terrence Malicks „Knight of Cups“. Nach „The Tree of Life“ war „To the Wonder“ schon eine recht blasse Fortsetzung. Malicks aktueller Ausflug in die Welt von Hollywoods Superreichen (Titel und Kapitel des Films sind Tarot-Motive) schwankt zwischen Modejournal, Naturdoku und Werbefilm. Der religiös-existentielle Kommentar über den Bildern wirkt da nur aufgesetzt.

Eine Ehrenauszeichnung für sein Lebenswerk erhielt der Regisseur Wim Wenders.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen