© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/15 / 20. Februar 2015

Ein Triumph der Simplifizierungssehnsucht
Rückschau auf ein geschichtspolitisches Waterloo: Joschka Fischers Kommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Auswärtigen Amtes in der NS-Zeit
Oliver Busch

Gemäß den Regieanweisungen für optimale Aufmerksamkeitsökonomie machte die von Joschka Fischer 2005 mit einer Geschichte des Auswärtigen Amtes vor und nach 1945 beauftragte Historikerkommission alles richtig. „Emotionalisierung, Personalisierung, Polarisierung, Skandalisierung“, nichts fehlte, wie Matthias Brechtken im Rückblick auf das im Herbst 2010 ausgebrochene Hauen und Stechen über „Das Amt und die Vergangenheit“ (JF 48/10 ) seinen Kollegen attestiert (Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 1/2015).

Trotzdem, so klagt Brechtken, sei der dicke Band, der das Auswärtige Amt medienwirksam als „verbrecherische Organisation“ einstufte, weil es als „Motor der Endlösung“ fungiert habe, ein geschichtspolitisches Desaster. Und zwar deshalb, weil es den Ruf des wissenschaftlich basierten Umgangs mit der NS-Vergangenheit kräftig beschädigte. Brechtken, immerhin stellvertretender Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, argumentiert damit wahrlich nicht gegen eine Sektion des eigenen Kerngeschäfts, die politische Instrumentalisierung der NS-Ära. Aber wissenschaftlich seriös sollte es dabei schon zugehen.

Verstöße gegen Grundsätze historischen Arbeitens

Diesen Anspruch erfüllen die auf dem Buchtitel prangenden Herren Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann leider nicht, auch deshalb, weil sie bis heute offenließen, welcher individuelle Anteil ihnen an diesem Erzeugnis eines Autorenkollektivs eigentlich zukommt. Schwerer wiegen für Brechtken jedoch die von der Fachkritik inzwischen aufgedeckten schmerzhaften Verstöße gegen elementare Grundsätze historischen Arbeitens. Das beginnt mit dem urkomischen „einen Tag“, den Conze und Frei sich zum Aktenstudium gönnten, während Hayes und Zimmermann das AA-Archiv nie betraten. Auch die Redaktion der Aktenkompilation übernahm die „Viererbande“ nicht selbst, sondern überließ sie dem zeithistorisch eher unbedarften Stefan-George-Biographen Thomas Karlauf. Kein Wunder, wenn, wie Brechtken mit Seitenblick auf das vergleichbar maximal unseriöse Machwerk von Daniel J. Goldhagen kritisiert, wieder einmal die „Simplifizierungssehnsucht“ triumphiert hat.

Was nicht nur dazu führte, die soliden älteren Studien zum AA sowie das „etablierte Forschungswissen über Holocaust und Endlösung“ unzureichend zu berücksichtigen, sondern nach SED-Manier („Von Ribbentrop zu Adenauer“) die Elitenkontinuität zwischen Berliner und Bonner AA mit der „Renazifizierung zu erklären“. Dann seien also die Westverankerung, die Bündnis- und Europapolitik der Bundesrepublik „das Werk von Nazis“ gewesen. Wahrhaft „verblüffende“ zeithistorische Einsichten, wie Brechtken höhnt.

Noch weiteres Porzellan habe Fischers Kommission mit ihren Reaktionen auf die Kritik an der „Unterkomplexität“ ihres in der „Kultur des Denunziatorischen“ (Bernhard Schlink) wurzelnden Werkes zerschlagen. Während Conze & Co. sich als mutige Aufklärer stilisierten, unterstellten sie ihren Kritikern gern „nichtwissenschaftliche“ Absichten und glaubten, wie Moshe Zimmermann im Interview mit Alan Posener zeterte (Die Welt vom 4. April 2011), eine finstere Koalition von „frustrierten Historikern“, Ex-Diplomaten, die von „kollektiver Schuld reinwaschen“ wollten, und anderen „Hütern der deutschen Ehrbarkeit“ marschiere gegen sie auf. Mangels „quellengestützter Sachargumente“ mußte diese moralisch aufgepumpte Ablenkungsstrategie, die den mühsam über Jahrzehnte aufgebauten „rationalen Diskursraum“ verließ, den aufklärerischen Anspruch gründlich der Lächerlichkeit preisgeben.

Wenigstens, so tröstet sich Brechtken, habe die fachwissenschaftliche Kultur der „akribisch-ernsten archivalischen Forschung“ das Feld letztlich gegen die geschichtspolitische Agitation der AA-Kommission behauptet. Der von „Schnellrezensenten“ desinformierten Öffentlichkeit bescherte die Kontroverse also durchaus einen „Lerneffekt“. Dem kann man zustimmen, nur der „rationale Diskursraum“ scheint in der Historikerzunft und erst recht in der Medienwelt bedenklich baufällig zu sein, wenn die Hysterie immer wieder Ausmaße wie im Herbst 2010 annehmen kann.

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