© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/15 / 27. Februar 2015

Ein schwarzes Loch für Politikerkarrieren
Spionageaffäre: Der NSA-Untersuchungsausschuß des Bundestages entpuppt sich für Abgeordnete der Union immer mehr als Alptraum
Lion Edler

Unter den Abgeordneten von CDU/CSU wird derzeit kaum etwas so sehr gefürchtet, als von der Fraktionsspitze gefragt zu werden, ob man Mitglied im NSA-Untersuchungsausschuß werden wolle. Denn im Ausschuß ist sprichwörtlich der Wurm drin. Und daß nicht erst seit dem spektakulären Fall von CDU/CSU-Obmann Roderich Kiesewetter. Dieser kündigte aufgrund von „Arbeitsüberlastung“ zum 1. März seinen Rücktritt. Doch inzwischen ist klar: Die Begründung für den Rücktritt war offenbar nur vorgeschoben.

Denn Kiesewetter der auch ehrenamtlicher Präsident des Reservistenverbandes ist, fühlt sich in Sachen NSA-Ausschuß vom BND übergangen. Nach Recherchen der Welt soll er im November 2014 durch Zufall erfahren haben, daß zwei Führungsmitglieder des Reservistenverbandes mit dem BND zusammenarbeiten. Kiesewetter, der darüber nicht informiert wurde, sah seine Glaubwürdigkeit beschädigt: Nachdem er die NSA und den BND oftmals in weiten Teilen gegen Kritik verteidigte, hatte die Sache nun einen faden Beigeschmack. Der Welt bestätigte Kiesewetter die Recherche. „Um möglichen Zweifeln an meiner Unvoreingenommenheit im NSA-Untersuchungsausschuß entgegenzuwirken“, habe er seinen Rücktritt eingereicht, sagte Kiesewetter dem Blatt. Er wolle die Angelegenheit „nicht weiter kommentieren.“ Auf Nachfrage sagte Kiesewetter der Zeitung, daß er nie für den BND gearbeitet habe. In den neunziger Jahren habe es lediglich eine „gewöhnliche Arbeitsbeziehung“ gegeben, als er als Offizier bei einem Auslandseinsatz auf dem Balkan tätig war.

Der Vorgang erscheint Kritikern nun um so pikanter, da ein weiteres Mitglied des NSA-Ausschusses, Patrick Sensburg (CDU), Fragen aufwirft. Sensburg ist ebenfalls im Reservistenverband aktiv: Als Vorsitzender der Reservistenarbeitsgemeinschaft im Bundestag gilt er als designierter Nachfolger von Kiesewetter. Doch nun steht Sensburg unter Beschuß, da seine Lebensgefährtin Anzeige gegen ihn erstattet hat. Sie wirft dem Parlamentarier vor, er habe sie geschlagen, gewürgt, an die Wand und auf den Boden geworfen. Sensburg bestreitet das; allenfalls habe er sie „etwas rabiat“ angefaßt. Intern soll Kiesewetter nun argumentiert haben, daß Sensburg den Reservistenverband gefährden würde, wenn dieser als Kiesewetters Nachfolger das Präsidentenamt übernehmen würde. Daher habe Kiesewetter sich entschieden, das Amt des NSA-Obmanns anstelle des Präsidentenamts im Reservistenverband zu opfern.

Indessen ist es nicht das erste Mal, daß die Begründung eines Rücktritts aus dem NSA-Ausschuß fragwürdig erscheint. Der erste Vorsitzende des Ausschusses, Clemens Binninger (CDU), war bereits im April vergangenen Jahres zurückgetreten, nachdem er sich erst im März zum Vorsitzenden hätte wählen lassen. Dabei hatte er zuvor auch als Obmann eines anderen Ausschusses parteiübergreifende Anerkennung erworben, nämlich im NSU-Untersuchungsausschuß. Seine lancierte Rücktrittsbegründung, er sei entsetzt gewesen, daß die Opposition den früheren NSA-Mitarbeiter Edward Snowden vorladen wolle, finden nicht alle überzeugend.

Sensburgs Lebensgefährtin hat ihre Anzeige übrigens bereits im Januar wieder zurückgezogen. Er freue sich, „daß wir den Beziehungsfrieden wiederherstellen konnten“, sagte Sensburg der Bild. Das Paar soll sich inzwischen sogar verlobt haben. Die Staatsanwaltschaft läßt sich dennoch nicht davon abhalten, ein Ermittlungsverfahren anzustreben – sie beantragte bereits die Aufhebung der Immunität von Sensburg. Offenbar gehen die Gesetzeshüter also von einem öffentlichen Interesse aus.

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