© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/15 / 27. Februar 2015

Schäubles makabre Null
Finanzen: Warum es für Griechenland keinen Schuldenerlaß geben soll und warum das eine schlechte Nachricht ist
Wolfgang Philipp

Die Ablehnung kam vergangenen Donnerstag postwendend: „Der Brief aus Athen ist kein substantieller Lösungsvorschlag. In Wahrheit zielt er auf eine Brückenfinanzierung, ohne die Anforderungen des Programms zu erfüllen“, hieß es aus dem Bundesfinanzministerium. Doch am Freitag abend einigte man sich in der Euro-Gruppe schließlich doch: Das sogenannte Hilfsprogramm für Athen wird bis 30. Juni verlängert, Euro-Austritt und Staatsbankrott („Grexit“, JF 9/15) sind vorerst abgewendet.

Doch jeder Experte weiß, daß Griechenland niemals in der Lage sein wird, den Großteil seiner Schulden zurückzuzahlen. Vielleicht mit einer Ausnahme: Der erste Euro-Rettungsschirm EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität), dessen Forderungen gegen Griechenland sich per 31. Dezember 2013 (die Zahlen für 2014 liegen noch nicht vor) auf 134 Milliarden Euro belaufen, schreibt in seinem Jahresbericht, er prüfe streng die Zahlungsfähigkeit seiner Schuldnerstaaten. Eine solche sei aber nur dann nicht gegeben, wenn Zahlungen mit mehr als 180 Tagen rückständig sind. Das sei nicht der Fall, ein Abschreibungsbedarf bestehe also nicht. Das ist bei dieser Betrachtungsweise kein Wunder, da die Fälligkeit der Griechenland-Anleihen immer weiter hinausgeschoben wird, inzwischen zum Teil bis 2042. Zur Erinnerung: Die EFSF wurde 2010 als „temporärer Krisenlöser“ gegründet.

Die EFSF hat nur ein niedriges Grundkapital

Die EFSF verhindert nun als Gläubiger durch immer neue Fristverlängerungen, daß die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands in ihren eigenen Büchern offenkundig wird. Daß Ratingagenturen diese Forderungen als kaum eintreibbar bewerten, stört die EFSF nicht. Jeder Laie versteht, daß Forderungen, die nicht mehr bezahlt werden können, auch formell erlassen werden sollten. Dann würde die Wahrheit in die Bücher des Gläubigers EFSF einziehen mit gewaltigen Konsequenzen: Die EFSF hat nur ein Grundkapital von 28 Millionen Euro und weist Ende 2013 insgesamt inklusive Reserven ein Eigenkapital von rund 448 Millionen Euro aus.

Wenn die EFSF Griechenlands Schulden formell erläßt (was die neue Athener Regierung fordert), müssen diese Forderungen abgeschrieben werden. Die EFSF kann sich nicht mehr auf ihre „Fälligkeitsbetrachtung“ zurückziehen. Die Folgen wären katastrophal: Da kaum Eigenkapital vorhanden ist, würde schon eine Abschreibung von einer halben Milliarde Euro (bei Forderungen in Höhe von 134 Milliarden Euro insgesamt) die Insolvenz der EFSF auslösen. Denn die EFSF ist eine kleine Aktiengesellschaft luxemburgischen Rechts und müßte bei Verlust seines Eigenkapitals und Eintreten der Überschuldung sofort zum Konkursrichter ziehen (JF 50/13).

Hinzu kommt, daß die EFSF ihre Forderungen gegen Griechenland und andere Euro-Staaten fremdfinanziert hat. Im Falle einer Insolvenz der EFSF könnten die Gläubiger ihre Forderungen in Höhe von rund 185 Milliarden Euro fällig stellen und die Bürgen in Anspruch nehmen. Dies sind die 18 Staaten, welche die Aktien der EFSF halten, darunter Deutschland mit rund 27 Prozent, was zur Zeit rund 50 Milliarden Euro bedeuten würde. Dieses Geld würde aus dem Bundeshaushalt abfließen und Wolfgang Schäubles schwarze Null zu einer makabren Karikatur machen.

Die Insolvenz der EFSF würde dadurch nicht verhindert, weil die Bürgschaften nicht ihr gegenüber, sondern nur direkt den Gläubigern gegenüber gelten. Da jeder Bürge nur als Teilschuldner nach Maßgabe seiner Beteiligung am EFSF (also nicht als Gesamtschuldner) haftet, müßte jeder Gläubiger gegen 17 Staaten jeweils Teilforderungen geltend machen. Dabei steht fest, daß nicht alle Bürgen zahlen können, Irland und Portugal erhielten sogar selbst EFSF-Hilfen. Auch ist die rechtliche Wirksamkeit der Bürgschaften zweifelhaft. Eine große internationale Krise droht.

Um das alles zu verhindern, darf die Wahrheit, die durch einen formellen Schuldenerlaß zutage tritt, nicht auf den Tisch. Trotzdem sind die cleveren EFSF-Strategen längst nicht aus dem Schneider. Die EFSF-Gläubiger werden irgendwann selbst merken, daß ihre Schuldner faktisch pleite sind. Die EFSF refinanziert ihre langfristigen Ausleihungen kurz- und mittelfristig. Das ist ein schwerer Verstoß gegen die „goldene Bankregel“, die verlangt, daß die Fristen der Refinanzierung in etwa den Fristen der eigenen Ausleihungen entsprechen müssen, um den Eintritt plötzlicher Zahlungsunfähigkeit auszuschließen.

Im Ernstfall droht sofortige Zahlungsunfähigkeit

Im Krisenfall wird die EFSF also für ihre kurzfristig finanzierten Verbindlichkeiten keine Anschlußfinanzierung finden und dann zahlungsunfähig werden, wie es in der Finanzkrise ab 2008 vielfach geschah. Sofort akut werden alle diese Risiken auch, wenn es zum „Grexit“ kommt. Dann werden aller Voraussicht nach die gesamten Forderungen der EFSF gegen Griechenland wertlos und müssen abgeschrieben werden. Auch dann wäre die EFSF pleite, und die Gläubiger müßten sich an die Bürgen halten. Niemand in Europa ist nach alledem rettungsbedürftiger als der Rettungsfonds EFSF selbst.

Nur damit das niemand merkt, darf es keinen formellen Schuldenerlaß für Griechenland geben. Die Wahrheit darf frühestens nach der nächsten Wahl herauskommen, die Bürger Europas werden getäuscht und müssen am Ende doch zahlen. Gegen solche Tricks sind selbst Hütchenspieler seriöse Kaufleute.

European Financial Stability Facility: www.efsf.europa.eu/

Foto: Euro-Münzen und -Scheine: Die EFSF refinanziert ihre langfristigen Milliarden-Ausleihungen immer nur kurz- und mittelfristig

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