© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/15 / 27. Februar 2015

Goldene Schreine als Wahrzeichen
Geheimnisvolles, faszinierendes Land in Südostasien: Das Linden-Museum in Stuttgart bringt Ausstellungsbesuchern die fremde Welt Myanmars näher
Felix Dirsch

Das im Westen immer noch unter seinem früheren Namen Birma (oder Burma) bekannte südostasiatische Land Myanmar war über Jahrzehnte hinweg nach außen mehr oder weniger abgeschottet. Selbst nach 1990, als der Sozialismus weltweite Erosionstendenzen erkennen ließ, verhinderten Militärs noch über längere Zeit hinweg eine Öffnung. Erst 2011 fanden Wahlen mit demokratischen Vorzeichen statt. Dieser Trend scheint seither kaum noch aufzuhalten zu sein. Auf vielfältige Weise suchen die gegenwärtig Regierenden der ehemaligen britischen Kolonie den Kontakt mit dem Westen, sei es durch vermehrten Handel, sei es durch eine 2012 eingerichtete Fluglinie.

In einer solchen Umbruchsituation ist es erfreulich, daß das frühere Völkerkundemuseum der Landeshauptstadt Baden-Württembergs nicht nur vergangene Kulturen beleuchtet – wie zuletzt die der Inkas (JF 9/14) –, sondern kulturell reichhaltige Güter eines südostasiatischen Staates der Gegenwart präsentiert, deren Entstehung oft lange in die Geschichte zurückreichen.

Im ersten Ausstellungsraum wird eine größere Landkarte gezeigt. Das ist auch nötig, wissen doch wohl nur relativ wenige Besucher die genaue Lage des geographisch als auch ethnisch zerklüfteten Landes, das längere Grenzabschnitte mit Indien, China und Thailand teilt und im Süden Küstenregion ist. In unmittelbarer Nähe zu diesen Angaben findet sich ein ausführliches Porträt jener Frau, die als das Gesicht des Landes im Ausland gilt: Aung San Suu Kyi. Die jugendlich aussehende Freiheitskämpferin, die von der Militärregierung eineinhalb Jahrzehnte unter Hausarrest gestellt wurde und dieses Jahr ihren 70. Geburtstag begeht, ist im Westen nie vergessen worden. Als Nobelpreisträgerin und Abgeordnete wirkt sie bis heute als eigentliche Vertreterin der Interessen ihres Landes und machte zuletzt im Herbst 2013 durch eine Rede vor dem Europaparlament auf sich aufmerksam.

Tempel und Mönche prägen das Bild

Das kulturelle Erbe des Landes ist untrennbar mit der überall sichtbaren buddhistischen Glaubenstradition verbunden, obwohl auch andere Religionsgemeinschaften dort repräsentiert sind. Die vielen Tempel des Landes und die allgegenwärtigen Mönche prägen nach wie vor das Bild – fast so, als hätte es Kolonialismus sowie anschließende Junta-Herrschaft nicht gegeben.

Es wird ein guter Einblick gegeben in Kleidung, Schmuck und Körperkunst, die einen nachhaltigen Ausdruck von Moral und Identität darstellen. Mönchsgewänder in ihrer Farbenpracht stehen auch in diesem Kontext im Vordergrund. Der Besucher wird informiert, daß die handwerklich meist gekonnt ausgeführten Tatauierungen, die Körper und Antlitz insbesondere vieler Frauen verschönern, eine dunkle Seite zum Vorschein bringen: Diese Hautmarkierungen sind oft nicht ganz freiwillig, sondern entsprechen traditionellen Riten.

Auch die darstellenden Künste werden seit Jahrhunderten gepflegt. Viele reisende Schauspieltruppen führen im ganzen Land eine Mischung aus Theater, Tanz und Comedy auf, die sich Zat Pwe nennt. Zahllose Marionettenspieler erfreuen nicht nur die Kinder.

Eine weitere beliebte Kunst ist die Musik. Etliche Instrumente werden gezeigt. Es bedarf großer Könnerschaft, manche von ihnen zu spielen. Einen kulturellen Kosmos erster Güte eröffnet der facettenreiche Umgang mit dem Übernatürlichen, der über die buddhistische Vorstellungswelt hinausgeht. So ist der Schmetterling, Leikpya genannt, das Sinnbild der spirituellen Welt Myanmars.

Das Handwerk ist eng auf die Welt des Buddhismus bezogen. Unzählige Arbeiter kümmern sich um Bau und Verzierung der Tempel, um die Errichtung und Herstellung von Statuen des entsagungsvollen Siddhartha Gautama. Seine Ikonographie und Biographie erstrahlt an allen Ecken und Enden (auch in der Stuttgarter Darbietung). Mancher Rundgänger mit christlichem Hintergrund dürfte neidisch werden, da Christus-Bilder und -Statuen auch in der Vergangenheit im Abendland keinen vergleichbaren Stellenwert besessen haben.

Einen nicht zu unterschätzenden Stellenwert, trotz eines kaum vorhandenen Kunstmarktes, besitzen Gegenwartskünstler. Sie unterstützten die Proteste gegen den ehemaligen Regierungschef, Generalissimus Than Shwe, unter dessen Regime die Korruption blühte. Es ist nicht nur der Avantgarde des weithin verarmten Landes zu wünschen, daß ein myanmarisches Sprichwort Wirklichkeit werde und den Bewohnern eine bessere Zukunft bevorstehe: „Ein Traum kann mit der Morgendämmerung Wahrheit werden“.

Wer Interesse zeigt an einem „goldenen Land“, dessen reichhaltige Kulturschätze noch zu entdecken sind, soll sich nach Stuttgart zu einem Erlebnis der besonderen Art aufmachen und eine gehörige Portion Neugierde im Reisegepäck mitbringen. Aufgrund der vielen neuen Eindrücke ist eine Vertiefung des Gesehenen durch den Begleitkatalog empfehlenswert.

Die Ausstellung „Myanmar – Das Goldene Land“ ist bis zum 17. Mai im Linden-Museum Stuttgart, Hegelplatz 1, täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, So. bis 18 Uhr, Mi. bis 20 Uhr, zu sehen. Der Ausstellungskatalog mit 256 Seiten und ca. 500 Abbildungen kostet 24,95 Euro. Telefon: 0711 / 20 22-3

www.lindenmuseum.de

Foto: Buddha auf einem Thronsitz, Myanmar, frühes 20. Jahrhundert: Seine Ikonographie erstrahlt an allen Ecken und Enden

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