© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/15 / 27. Februar 2015

Blick in die Medien
Journalisten-Gruppentherapie
Tobias Dahlbrügge

Die Schere zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung klafft auseinander. Wie weit, das kann an den Kommentarspalten der Qualitätsmedien abgelesen werden. Immer öfter verweigern die Leser den Diskursfürsten die Gefolgschaft. Für Journalisten, die sich als Volkserzieher fühlen, muß diese Ablehnung deprimierend sein. Doch sie haben eine Methode gefunden, den Frust gewinnbringend zu bewältigen. Immer mehr überregionale und selbst lokale Zeitungen laden zum „Hate-Slam“ ein.

So wie beim Literatenwettbewerb „Poetry Slam“ lesen die Journalisten auf der Bühne ihre „schönsten“ Wut-Zuschriften vor. Das Publikum wiehert vor Vergnügen. Erfunden hat das Format die taz. Inzwischen haben der Bayreuther Kurier, die Stuttgarter Zeitung, aber auch die Süddeutsche und Die Zeit Hate-Slams veranstaltet.

Besonders diskriminiert sehen sich Journalisten mit orientalischen Wurzeln.

Natürlich gibt es Trolle, die jede Redaktion mit Nonsens-Beschwerdebriefen nerven. Doch hier wird auch substantielle Kritik als Idiotenpost abqualifiziert. So trägt ein Kurier-Redakteur belustigt aus einem Leserkommentar vor, der ihm Volksverdummung vorwirft. Dabei spreizt er das Wort so theatralisch, als sei der Begriff vollkommen absurd. Daß Redakteure über den robusten Ton der Zuschriften die Nase rümpfen, ist lächerlich, denn angesichts der Zumutungen zu den brennenden Themen wie Zuwanderung ist der hohe Blutdruck der Leser durchaus verständlich.

Besonders betroffen und ganz furchtbar diskriminiert sehen sich Journalisten mit orientalischen Wurzeln. Vier Vertreter, etwa vom Spiegel und von der taz, veranstalteten einen eigenen Slam mit angeblich rassistischen Ungeheuerlichkeiten wie: „Sie sollten dankbarer sein, denn wenn wir Ihre Großeltern nicht aufgenommen hätten, könnten Sie heute gar nicht schreiben.“ Schlimm, schlimm.

Wenigstens haben die armen Journalisten nun eine Form der Gruppentherapie gefunden, für die sie auch noch ein Honorar bekommen.

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