© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/15 / 27. Februar 2015

Dreifach getroffen
Mehr als Fukushima – Augenzeugenberichte zum größten Unglück, das Japan seit 1945 heimgesucht hat
Jörg Fischer

Sirenen heulten am Morgen des 17. Februar in Kuji und Ōtsuchi, zwei Küstenstädten in der nordjapanischen Präfektur Iwate. Dann ging alles sehr schnell: Die Bewohner wurden evakuiert, um 8.35 Uhr trafen die größten Tsunami-Wellen ein. Auslöser waren Seebeben im Pazifik mit einer Stärke von bis zu 6,9. Vier Jahre zuvor lief es nicht so glimpflich ab – das Tōhoku-Beben vom 11. März 2011 war das größte Unglück, das Japan seit 1945 erlitt.

In Deutschland blieb davon vor allem die Reaktorkatastrophe von Fuku­shima und die weiträumige radioaktive Verstrahlung in der Erinnerung. Doch durch die haushohen Tsunami-Wellen fanden auch 15.889 Menschen den Tod, 6.152 wurden verletzt und 2.601 zählen als vermißt. Idyllische Städte und Dörfer an der Sanriku-Küste, die beim Erdbeben von 1896 sogar 27.000 Tote zu beklagen hatten, wurden total zerstört. Es gibt inzwischen zahlreiche japanische Bücher, welche die Katastrophe aufarbeiten. Der Sammelband „Japan an jenem Tag“ bietet hingegen 23 Augenzeugenberichte von Deutschen, Österreichern, Schweizern und Ungarn, die unterschiedliche Perspektiven liefern.

Darunter ist der damalige deutsche Botschafter in Japan, Volker Stanzel, der Betroffener und Akteur war. Er schildert etwa das hysterische Verhalten im Ausland: „Frankreich schickt zwei Militärflieger nach Tokio, die 2.000 Franzosen evakuieren sollen. Knapp 400 sind es.“ Genauso erging es Spaniern, Belgiern oder Briten mit Flügen aus Hongkong, obwohl „einige davon schließlich ihre Plätze sogar umsonst anboten“. Die deutsche Botschaft war allerdings auch vom 18. März bis zum 11. April 2011 nach Osaka evakuiert worden.

Susanne Endo-Koller liefert den Kontrast dazu: „Tief beeindruckt war ich von der Ruhe, Disziplin und Hilfsbereitschaft der Japaner“, schreibt die Schweizer Deutsch-Lektorin. „Jeder half, wo er konnte und teilte, was er hatte.“ Mehrere Autoren schildern, daß es wochenlang auch in Tokio Nachbeben gab und wie überlebenswichtig die routinemäßigen Verhaltensschulungen für Erdstöße sind: „Das mächtige Rütteln hörte nicht auf“, erinnert sich der aus Wien stammende Lehrer Josef Bohaczek. „Schnell schnappte ich den stets griffbereiten Schutzhelm, den Notrucksack“, und dann: „Unter denTisch“ Schnell!“ Kleinere Erschütterungen gehören in Japan zum Alltag, große Beben wie das von Kōbe 1995, bei dem fast 4.600 Tote und etwa 14.700 Verletzte zu beklagen waren, sind zum Glück selten.

Seit den achtziger Jahren ist statistisch gesehen ein Megabeben in Tokio überfällig. Verhindern läßt es sich nicht, aber vielleicht hilft den Japanern ihre „beherrschte Angst“ – also Besorgnis zu verbreiten und gleichzeitig Panik zu verhindern. Und ein Freund der Ungarin Viktória Orbán weiß: „Keine Naturkatastrophe kann dieses Land bezwingen, weil sich unser Volk immer und immer wieder aus Trümmern erhebt.“

Albrecht Rothacher (Hrsg.): Japan an jenem Tag. Iudicium-Verlag, München 2014, broschiert, 283 Seiten,14 Euro

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