© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/15 / 27. Februar 2015

Knapp daneben
Industrie belastet unser Gewissen
Karl Heinzen

Als früherer Pop-Beauftragter seiner Partei weiß Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, wie wichtig es ist, sich in der Öffentlichkeit zu inszenieren. Daher läßt er keine Gelegenheit aus, sich mit Top-Managern zu umgeben, um den Eindruck zu erwecken, er würde gemeinsam mit ihnen die Weichen für unseren zukünftigen Wohlstand stellen. Der Trick, mit dem er der bereits hinlänglich gestreßten Wirtschaftselite die kostbare Zeit stiehlt, ist das Anberaumen sogenannter Dialogplattformen, auf denen auf hohem Abstraktionsniveau über dies und jenes geplaudert wird, sofern es sich nur als drängende Zukunftsfrage ausgeben läßt. Solche Prunksitzungen gibt es bereits zu den Themen Investitionen, Energieeffizienz und „Industrie 4.0“. Nun kommt auch noch das „Bündnis für Industrie“ hinzu.

Dieses Bündnis, dem auch die Gewerkschaften angehören, verfolgt ein Ziel, das man vor der Wirtschafts- und Finanzkrise als rückwärtsgewandt betrachtet hätte. Lange Zeit galt es als ausgemacht, daß Modernisierung mit dem Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft gleichzusetzen ist.

Arbeitnehmer wollen bequeme Jobs in angenehmer Atmosphäre. Fabrikhallen sind dafür ungeeignet.

Tatsächlich scheint es den allermeisten Bürgern der europäischen Nachbarn heute zu gelingen, ihren Lebensunterhalt mit allem möglichen zu bestreiten, ohne dabei irgend etwas mühsam herstellen zu müssen. Nur in Deutschland sind immer noch 22 Prozent der Wirtschaftsleistung auf die industrielle Produktion zurückzuführen.

Ginge es nach Sigmar Gabriel, würde alles so bleiben, wie es ist. Seine „Partner“ im erzwungenen „Bündnis“ dürften dies anders sehen. Unternehmen wollen möglichst nahe bei den Kunden produzieren. Diese findet man überall auf dem Globus, aber kaum in Deutschland. In der Produktion wollen sie möglichst wenig für Löhne ausgeben. Diese sind aber bei uns viel zu hoch. Die Arbeitnehmer wollen bequeme Jobs in angenehmer Atmosphäre. Fabrikhallen bieten dafür kein geeignetes Ambiente. Industrie frißt Energie, ruiniert das Klima, verschandelt die Landschaft, verstopft die Verkehrswege und belastet unser Gewissen. Was sie herstellt, könnte, wenn man es überhaupt braucht, auch importiert werden.

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