© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/15 / 06. März 2015

Zeitschriftenkritik: Karfunkel
Auf dem Schafott hingerichtet
Werner Olles

Es war ein seltsames Schauspiel am 19. Mai 1536. Gegen Mittag betrat die englische Königin das Schafott im Tower von London, Anne Boleyn, eine junge Frau von etwa 35 Jahren, die erst drei Jahre zuvor an der Seite Heinrichs VIII. den Thron bestiegen hatte. Karfunkel, die zweimonatlich erscheinende „Zeitschrift für erlebbare Geschichte“, befaßt sich in ihrer aktuellen Ausgabe (Nr. 116, Februar/März 2015) unter anderem mit der Frau, die keine Mätresse sein wollte. Vermutlich 1501 geboren, kam sie dank ihres Vaters, der Botschafter am niederländischen Hof war, in den Genuß einer höfischen Ausbildung. 1514 wechselte sie an den französischen Königshof, wurde in Tanz, Gesang und Musik unterrichtet und kehrte 1521 nach England zurück. Ihre Auslandserfahrung und ihr einflußreicher Vater halfen dabei, daß sie an den Hof Königin Katharinas aufgenommen wurde und die Gunst des Königs gewann.

Anne ist Anhängerin der Schriften Luthers, und es ist auch ihrem Einfluß zu verdanken, daß Heinrich der VIII. sich schon bald nicht mehr an die Weisungen des Papstes gebunden fühlt. Unter dem neuen Kanzler Thomas Cromwell wird die Unterwerfung der englischen Kirche unter den König endgültig vollzogen. Als Anne 1533 schwanger wird, eröffnet der Erzbischof von Canterbury den Scheidungsprozeß und fällt das Urteil: Heinrich und Katharina waren nie rechtmäßig Mann und Frau, er sei nun legitim mit Anne Boleyn verheiratet. Anne bringt eine Tochter zur Welt, die Elisabeth getauft wird.

Doch im Sommer 1535 lernt Heinrich Jane Seymour kennen und plant die Scheidung von Anne Boleyn. Nachdem Cromwell erfuhr, daß ein Musiker der Königin seine Liebe gestanden hat, wird sie des Hochverrats und des Inzests bezichtigt. Auf dem Schafott hält Anne eine kurze Rede, spricht ein letztes Gebet und wird schließlich mit einem schnellen Streich enthauptet. Ihr Aufstieg und Fall sind ein Wendepunkt in der Regentschaft Heinrichs VIII. und der Auftakt einer Folge von zahllosen Ränkespielen. Annes Tochter Elisabeth I. sollte später die schillerndste Königin Englands werden, deren Regierungszeit (1558–1603) bis heute als „goldenes Zeitalter“ bezeichnet wird, und die durch ihre Kinderlosigkeit die Tudor-Dynastie beendete.

Ein weiterer Beitrag beschäftigt sich mit Byzanz und dem Leben in der größten Stadt des Mittelalters. Die Gründung 324 durch Konstantin d. Gr., der dem alten Byzantion seinen neuen Namen gab, symbolisierte über ein Jahrtausend das Reich, dessen Kerngebiete vom Balkan über Kleinasien bis in den Kaukasus, von der Krim bis Kreta reichten. Auch kulturell war Byzanz lange Zeit führend, nirgendwo sonst gab es so prächtige Kirchen und Paläste. Vom Meer bot sich ein weiter Blick auf die Kuppeln der Kirchen, hochragende Triumphsäulen und das geschäftige Treiben in den Häfen. Doch Byzanz war umgeben von Feinden, und 1453 übernahmen die Osmanen das ohnehin schon geschwächte Reich.

Kontakt: Karfunkel-Verlag. Marienhöhe 1, 74706 Osterburken. Einzelheft 6,90 Euro, Jahresabo 33 Euro. www.karfunkel.de

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