© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/15 / 06. März 2015

Das Geheimnis der drei Karten
Oper: Peter Tschaikowskis „Pique Dame“ im sächsischen Theater Freiberg mit einem türkischen Tenor und einer argentinischen Sopranistin in den Hauptrollen
Sebastian Hennig

Die Stadttheater von Freiberg und Döbeln wurden 1993 zum Mittelsächsischen Theater zusammengelegt. In den letzten Jahren hat man sich gewaltigen künstlerischen Herausforderungen gestellt. Die Hauptwerke von Dvořák, Wagner und Richard Strauss gelangten auf die kleine Bühne des weltweit ältesten noch bespielten Stadttheaters in Freiberg. Jetzt hat der künstlerische Ehrgeiz sich Peter Tschaikowskis „Pique Dame“ zugewandt.

Die argentinische Sängerin Leonora del Rio gehört seit der letzten Spielzeit zum Ensemble und war zuletzt als Marschallin im „Rosenkavalier“ von Richard Strauss zu erleben. In Tschaikowskis Opernfassung der berühmten Erzählung von Alexander Puschkin ist sie nun die weibliche Hauptfigur Lisa. Deren Partner Hermann wird vom türkischen Tenor Ünüsan Kuloğlu gegeben.

Das Ensemblemitglied der türkischen Staatsoper Ankara ist in seiner Heimat zum wichtigsten Botschafter der Musik von Richard Wagner geworden. Studiert hat er in Madrid beim finnischen Sänger Tom Krause, der besonders für seine Mozart- und Wagner-Interpretationen berühmt war. Bei bedeutenden Wagner-Sängern wie Christa Ludwig, Petra Lang und Birgit Nilsson belegte er Meisterkurse. Im antiken Theater von Aspendos trat Kuloğlu als Tannhäuser auf. Diese Rolle brachte ihm 2011 den Titel als bester Opernsänger der Türkei ein.

In Freiberg trifft er nun auf den Generalmusikdirektor der Mittelsächsischen Philharmonie, Raoul Grüneis. Unter dessen Dirigat hat er bereits vor Jahren in Regensburg den Erik in Wagners „Der fliegende Holländer“ gesungen. Später führten sie beide, zum erstenmal in der Türkei, den ersten Akt von „Die Walküre“ in Ankara konzertant auf. Der Sänger erinnert sich an die Ausgangslage in seiner Heimat: „Früher hatten wir Angst vor der deutschen Oper, weil man hierfür besonders gute Sänger braucht“.

Inzwischen ist er als großer Wagner-Sänger nach Westeuropa zurückgekehrt. So war er 2013 als Vertretung zu den Bayreuther Festspielen verpflichtet. Bei Ausfall der Erstbesetzung hätte er im Jubiläumsjahr auf der Bühne des Grünen Hügels gestanden. Im selben Jahr gestaltete er während eines Festkonzerts in Istanbul mit Szenen aus dem „Ring des Nibelungen“ sämtliche großen Tenor-Partien der Tetralogie.

In Freiberg wird das russische Meisterwerk in deutscher Übersetzung gespielt. Während der Proben zu „Pique Dame“ weilte der Chefdirigent der Dresdner Staatskapelle, Christian Thielemann, zu einem Ausflug im nahe gelegenen Freiberg. Der berühmte Kapellmeister fachsimpelte dabei mit dem Heldentenor über die große Bedeutung der kleinen Bühnen, an denen letztlich nicht anders gearbeitet werde als an den weltberühmten Häusern.

Die beiden Hauptsänger werden in Freiberg von einer guten Ensembleleistung eingefaßt. Spätestens als Graf Tomski (Sergio Raonic Lukovic) seine Ballade von der alten Gräfin vorträgt, die um die geheimnisvollen drei Karten weiß, mit denen sich jedes Spiel gewinnen läßt, hat der Abend dramatisch an Fahrt gewonnen. Anmutig ist das Duett von Lisa und Polina (Barbora Fritscher). Die Tschechin singt ihr Lied im russischen Original.

Die Bühne teilt sich ohne Zwischenwände in Bereiche. Eine schlaglichtartige Markierung durch Scheinwerfer ersetzt Bauten und Bewegungen. In dem zumeist schwarzen Raum deuten wenige Ausstattungsstücke eine Veränderung des Ortes an. Daraus ergibt sich eine glückliche szenische Begleitung der Musik.

Dieser kommt hier die wichtigste Rolle zu. Hermann sitzt oft eingeklemmt hinter seinem kleinen Tischchen wie in einer zu engen Zelle. Während er gut sichtbar und doch irgendwie abwesend seine Spielkarten mischt, treten die drei Freunde, Tomski, Tschekalinski (Jens Winkelmann) und Surin (Martin Gäbler), nach vorn. Rita Zaworka als menschenfeindliche alte Gräfin sitzt auf der Bettkante und schwärmt von früher. Sie giftet über den Niedergang: „Wer singt heute, wer tanzt? … der Pöbel!“ Dabei macht ihr ein Gespensterreigen antiquierter Kavaliere die Aufwartung. Den Sängerdarstellern wird sehr viel Bewegung abgefordert auf dem bemessenen Raum der Freiberger Bühne.

Die treibende Musik beim letzten verhängnisvollen Zusammentreffen von Hermann und Lisa vor dem Schattenriß einer Stadt prägt sich tief ein. In dem Freiberger Theater herrscht immer eine besondere Stimmung. Das Geschehen auf der Bühne rückt den Besuchern hier so nahe wie sonst kaum irgendwo. Die Musiker der Mittelsächsischen Philharmonie müssen im engstem Raum des Orchestergrabens Tschaikowskis musikalische Leidenschaftsstürme erregen. Im Libretto von Modest Tschaikowski erdolcht sich Hermann zuletzt. Anders als in Puschkins klassischem Erzählwerk waltet hier große Oper.

Die nächsten Vorstellungen von„Pique Dame“ im Theater Freiberg, Borngasse 1, finden statt am 8., 20. und 26. März. Premiere in Döbeln ist am 4. April, weitere Termine dort am 8. und 10. Mai. www.mittelsaechsisches-theater.de

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen