© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/15 / 06. März 2015

Wie eine Granate den Kampf im Westen entschied
Zufallstreffer verhinderte Sprengung: Vor 70 Jahren eroberten die Amerikaner bei Remagen eine unzerstörte Rheinbrücke
Egon W. Scherer

Die Eroberung einer unzerstörten Rheinbrücke am 7. März 1945 durch die Amerikaner war eine Sensation, zudem eine ziemlich unblutige. Die große Schlacht um die Brücke gab es dann später, auf der Leinwand, im 1968 produzierten amerikanischen Spielfilm „Die Brücke von Remagen“. Aber in Wirklichkeit fand diese Schlacht nie statt. Nach Aussage von Hauptmann Wilhelm Bratge, damals Kampfkommandant von Remagen, hatten die Amerikaner bei der Brückenbesetzung zwei Tote, die Deutschen einen. Schwere Kämpfe gab es tatsächlich, als die Wehrmacht den amerikanischen Brückenkopf auf dem rechten Rheinufer wieder einzudrücken und die Brücke nachträglich zu zerstören versuchte. Die Brücke selbst aber fiel nahezu kampflos in die Hände des Gegners.

Es war ein Zufallstreffer, wie er nach dem Urteil eines amerikanischen Berichterstatters „unter Millionen Schüssen nur einmal vorkommt“, der hier dem Angreifer einen Trumpf zuspielte, welcher seinen Vormarsch beschleunigte und ihm viele Opfer ersparte. Die Ludendorff-Brücke bei Remagen, eine für den Fahrzeugverkehr ausgebohlte Eisenbahnbrücke, war von deutschen Pionieren befehlsgemäß zur Sprengung vorbereitet worden. Die Zündung der Brückensprengung wurde auch beim Herannahen der Amerikaner ausgelöst – aber sie versagte. Eine amerikanische Panzergranate hatte das Sprengkabel getroffen und zerrissen.

Fünf US-Divisionen konnten den Rhein überqueren

Geglückt war die Vorsprengung, die einen riesigen Trichter vor der Brücke riß und den amerikanischen Panzern zunächst die Auffahrt versperrte. Die Hauptsprengung aber zündete nicht. Auch eine sofort danach ausgelöste Notsprengung versagte. Statt der dafür vorgesehenen 600 Kilogramm waren nur 300 Kilogramm geliefert worden, dazu nur Industriesprengstoff, wie er im Bergbau Verwendung findet. Die Brücke schwankte, stürzte aber nicht ein. Nachdem sich der Rauch der Explosionen verzogen hatte, stürmte amerikanische Infanterie über die Brücke und schaltete die einzige deutsche MG-Stellung aus. Eroberer war eine Vorhut der 9. Panzerdivision der 1. US-Armee unter dem Befehl des 26jährigen deutschstämmigen Leutnants Karl H. Timmermann.

Um 16 Uhr am 7. März 1945 hatten die Amerikaner die Brücke in der Hand. Sie umstellten einen Tunnel am andern Ende der Brücke, in dem Kampfkommandant Hauptmann Bratge mit versprengten Soldaten, Verwundeten und rund 400 Zivilisten festsaß, die sich vor Bomben und Granaten hierher geflüchtet hatten. Um 17.15 Uhr kapitulierte die Tunnelbesatzung und gab sich gefangen. Nicht bei den Kapitulanten war der erst in der Nacht zuvor eingesetzte Brückenkommandant, Major Hans Scheller, der sich mit dem Fahrrad auf den Weg zum Armeekorps-Befehlsstand gemacht hatte. Er radelte in den Tod.

Für die Amerikaner war die Brücke ein Geschenk des Himmels. „Sie war wert, in Gold aufgewogen zu werden“ („It was worth its weight in gold !“) formulierte später Generalleutnant Walter B. Smith, Generalstabschef des alliierten Oberbefehlshabers Dwight D. Eisenhower. Eisenhower saß an diesem 7. März mit hohen Offizieren im Hauptquartier in Reims beim Abendessen, als ihn die Nachricht von der Eroberung der Remagener Brücke erreichte. General Omar N. Bradley, Chef der 12. alliierten Heeresgruppe, zu der die 1. US-Armee zählte, meldete am Telefon die Sensation. Eisenhower fragte: „Was haben Sie alles bei der Hand? Was kann man hinüberschicken?“ Bradley: „Ich habe über vier Divisionen, aber ich wollte Sie vorher anrufen, weil ich nicht wußte, ob es im Sinne Ihrer Pläne ist, wenn ich sie hinüberschicke.“

Nun, die Amerikaner schafften schon in den ersten 24 Stunden rund 8.000 Soldaten über den Rhein. Eine Woche später umfaßte der sich schnell ausweitende Brückenkopf zwei Divisionen mit etwa 25.000 Mann. Als die vielfach beschädigte Brücke am 17. März infolge deutscher Treffer, Überlastung und Materialverschleiß zusammenbrach, standen fünf US-Divisionen am Ostufer. Der Brückeneinsturz kostete 28 amerikanische Pioniere das Leben, doch den Nachschub konnte er nicht mehr stoppen. Längst hatten die Amerikaner Pontonbrücken zwischen Remagen und dem gegenüberliegenden Erpel über den Strom geschlagen.

Damit hatten die Alliierten den ersten Fuß über den Strom gesetzt, der die letzte natürliche Barriere vor dem vordringenden Feind im Westen des Reiches bildete. Das deutsche Westheer, das nach der geglückten Invasion der Alliierten und dem anschließenden Rückzug auf die Reichsgrenzen im Herbst und Winter 1944/45 noch einmal erstaunlichen Widerstand geleistet, in der Ardennenoffensive sogar energisch zurückgeschlagen hatte, war im Frühjahr 1945 am Ende seiner Kraft. Während im Januar im Osten vor dem Ansturm der Roten Armee die Dämme brachen, rollte ab Anfang Februar nun auch im Westen die Großoffensive der Engländer und der Amerikaner. Es begann mit einem Angriff von Briten und Kanadiern, die unter dem Befehl von Feldmarschall Bernard Montgomery standen, in Holland, bei Nimwegen. Weiter südlich schlossen sich nach und nach die 9., die 1. und die 3. US-Armee an.

Erst im Mai sollte der Rhein überschritten werden

Es wurde März, bis die Angreifer sich bis zum Rhein vorgearbeitet hatten. Ein Korps der 9. US-Armee erreichte den Strom bei Neuss, gegenüber von Düsseldorf. Einheiten der 1. US-Armee drangen am 4. März in das zerstörte Köln ein. Südlich von Köln kamen andere Truppen der 1. Armee bei Bonn an den Rhein heran. Der linke Flügel der 3. Armee stieß nördlich der Mosel vor und erreichte den Fluß bei Neuwied und Andernach.

Die deutschen Truppen hielten zu diesem Zeitpunkt links des Rheins noch immer ein bedeutendes Gebiet, und zwar die ganze Rheinpfalz, Teile des Saarlandes und Lothringens und das nördliche Elsaß. General Eisenhower, wie immer bedächtig vorgehend und große Verluste scheuend, plante zuerst die Vollendung der Eroberung des ganzen linken Rheinufers und wollte erst dann, wenn der Wasserstand des Stroms gefallen war, den Übergang über den Fluß erzwingen und auf breiter Front nach Osten vorstoßen.

Ursprünglich hatte er an eine Überwindung der Strombarriere mit großem Materialaufwand etwa Anfang Mai gedacht. Doch dann waren die Amerikaner schon am 7. März auf dem rechten Rheinufer. Die Eroberung der Remagener Brücke durch eine vorgepreschte Einheit der 9. Division der 1. US-Armee änderte alle Planungen, war vor allem aber ein großer psychologischer Erfolg im Endkampf gegen die Deutschen.

In Hitlers „Führerhauptquartier“ schlug die Hiobsbotschaft von Remagen wie eine Bombe ein. Die fünf Offiziere, die mit der Verteidigung dieses Frontabschnittes und mit der Sprengung der Ludendorff-Brücke beauftragt waren, wurden vor ein Standgericht gestellt. Am 18. März teilte der Wehrmachtsbericht mit, daß der Kampfkommandant von Remagen und vier weitere Offiziere „teils wegen Feigheit, teils wegen schwerer Dienstverletzung im Felde“ zum Tode verurteilt wurden, weil sie es „fahrlässig unterlassen hatten, die Rheinbrücke bei Remagen rechtzeitig zu sprengen oder entschlossen zu verteidigen“. Vier der Verurteilten, darunter der Brückenkommandant Major Scheller, wurden erschossen, den Kampfkommandanten Hauptmann Bratge bewahrte die amerikanische Kriegsgefangenschaft vor diesem Schicksal.

Selbst V2-Raketen sollten die Brücke danach zerstören

Generalfeldmarschall Walter Model, Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B, die später durch einen gewaltigen Zangenangriff der 1. und 9. US-Armee im sogenannten „Ruhrkessel“ eingeschlossen wurde, sollte um jeden Preis den Brückenkopf der Amerikaner wieder eindrücken. Doch die Gegenangriffe der Deutschen führten angesichts der gewaltigen Materialüberlegenheit des Gegners nur zu einer vorübergehenden Abriegelung.

Stuka-Angriffe auf die Brücke scheiterten im massierten Abwehrfeuer amerikanischer Flakgeschütze. Viele Maschinen wurden abgeschossen. Kampfschwimmer, die Sprengladungen an den Brückenpfeilern anbringen sollten, ertranken, wurden getötet oder gefangengenommen. Treibminen wurden unschädlich gemacht. Von der Linzer Höhe, einem nahe gelegenen Höhenzug, feuerte deutsche Artillerie, konnte aber die Brücke nur weiter beschädigen. Selbst V2-Raketen wurden zur Zerstörung der Brücke eingesetzt. Der der Brücke nächstliegende Treffer, gegenüber dem Remagener Friedhof, lag etwa 400 Meter vom Ziel entfernt. Als die Brücke dann endlich einstürzte, hatte sie ihre Schuldigkeit getan und war bereits durch die Pontonbrücken ersetzt.

Ende März 1945 überwanden die Allierten dann auf breiter Front den Strom. Am 24. März überschritt die 21. alliierte Heeresgruppe unter Feldmarschall Montgomery bei Wesel den Niederrhein und stieß nördlich des Ruhrgebietes nach Westfalen vor. Am 25. März brach die 1. US-Armee aus dem Brückenkopf Remagen hervor und setzte zur südlichen Umfassung des rheinisch-westfälischen Industriegebietes an. Schon am 22. März hatte General George Pattons 3. US-Armee bei Oppenheim den Rhein überquert und war zum Vorstoß durch das Maintal gegen Frankfurt angetreten. Noch weiter südlich überschritt die 7. US-Armee am 25. März den Rhein bei Worms und marschierte gegen Würzburg. Die Strom-Barriere war gefallen, die Agonie des Reiches hatte begonnen.

Foto: US-Soldaten posieren im März 1945 an der Ludendorff-Brücke in Remagen: Letzte Barriere gefallen

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