© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/15 / 13. März 2015

„Sie sind gegen Ausländer!“
Integration: Wenn beim Arztbesuch die Sprache zur unüberwindlichen Barriere wird
Michael Johnschwager

Mit der steigenden Zuwanderung nach Europa rückt das Thema Integration in den Fokus. Untrennbar damit verbunden ist solide Kenntnis der Sprache des Aufnahmelandes. Und hierbei liegt in Deutschland so manches im argen.

Mit dem vom Europarat 2003 entwickelten sogenannten Europäischen Sprachreferenzrahmen wird die Sprachkenntnis in sechs Ebenen eingestuft. Er umfaßt Grundkenntnisse (A1/A2) über unabhängige Nutzung (B1/B2) bis zum professionellen Sprachgebrauch (C1/C2). Innerhalb dieser Niveaus wird jeweils unterschieden zwischen Hörverstehen, Lesen und Schreiben.

Die Klinikleitung beschwichtigt routiniert

Um in Deutschland eine weltweit anerkannte, in der Regel dreijährige duale Ausbildung beginnen zu können, müssen Zuwanderer als Zugangsvoraussetzung einen Kenntnisstand der deutschen Sprache auf Niveau B2 vorweisen. Dies gilt für alle Berufe, unabhängig von deren unterschiedlichen spezifischen Anforderungen. Es ist verständlich, daß ein Deutsch lernender Auszubildenden im Einzelhandel damit erfolgreich ins Berufsleben eintreten kann. Weniger nachvollziehbar ist, daß für Mediziner, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, die gleiche sprachliche Kompetenz ebenfalls genügen soll, um ihnen anvertraute Patienten zu verstehen beziehungsweise von ihnen verstanden zu werden.

Dabei muß es nicht immer um Leben oder Tod gehen, wie die Erfahrung in einer Rehaklinik im sächsischen Bad Elster zeigt. Nach einer vierwöchigen Reha steht für den Patienten der Termin zur abschließenden Untersuchung an. Nachdem dieser schon eine knappe halbe Stunde gewartet hat, fragt der Patient bei der Ärztin nach. Diese ist jedoch noch mit dem Verfassen des Abschlußberichtes des zuvor untersuchten Patienten beschäftigt. Dies gestaltet sich recht zeitaufwendig, da die Dame offensichtlich nicht viel vom Zehnfingersystem hält.

Obwohl es sich bei dem Patienten um einen Dozenten mit einem Jahrzehnt Erfahrung in Übersee handelt, der in Integrationskursen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Deutsch als Fremdsprache (DaF) unterrichtet, gestaltet sich der Dialog vom ersten Moment an mehr als holprig. Die aus Osteuropa stammende Ärztin versucht sich eher radebrechend in Deutsch, gekennzeichnet durch einen nur schwer verständlichen Akzent. Ihre rudimentäre Kenntnis der deutschen Sprache erweist sich als derart hinderlich, daß erst mehrmaliges Nachfragen zum richtigen Ergebnis führt. Das Zusammentreffen findet in angespannter Atmosphäre statt, Frau Doktor reagiert zunächst ungehalten, danach unwirsch und zuweilen gar barsch auf den Patienten. Dessen Geduld und guter Wille werden über die gesamte Dauer der mühselig aufrechterhaltenen Konsultation arg strapaziert, dennoch behält er die Contenance. Die entgleitet hingegen der Medizinerin vollends, als die in ihrer Mimik erkennbare Abneigung in dem Vorwurf eskaliert: „Sie sind gegen Ausländer!“

Jeder kann sich die absehbaren Unwägbarkeiten vorstellen, wenn Patient und Mediziner nicht imstande sind, auf ein und derselben Ebene zu kommunizieren. Im vorliegenden Fall echauffieren sich die Beteiligten an einer eher simplen Fragestellung. Charakteristisch dafür sei der Wortlaut der beteiligten „Dialogpartner“ wiedergegeben:

Ärztin: „Was machen Sie nach Ihrer Rückkehr?“ Patient: „Ich arbeite weiter als Dozent in der Erwachsenenbildung.“ Ärztin: „Ich frage Sie noch einmal: Was machen Sie nach Ihrer Rückkehr?“ Patient: „Wie ich Ihnen sagte, nehme ich gern wieder meine Dozententätigkeit in der Erwachsenenbildung auf.“

Das Gespräch gerät zum wiederholten Male ins Stocken. Erst auf mehrmaliges Nachfragen des Patienten versteht dieser nun endlich, daß sich die Frage auf die geplante medizinische Behandlung nach Heimreise bezieht.

Was folgt, läßt sich nur sehr schwer als ein professionelles Beschwerdemanagement bezeichnen. Der Tenor während der Aussprache mit einer als Klinikmanagerin fungierenden Diplomingenieurin ist von Relativieren und Beschwichtigen bestimmt. Der Redefluß geht ihr leicht über die Lippen, was unschwer einige Routine erkennen läßt. Sie versucht Unmut mit der Zusicherung zu zerstreuen, die Beschwerde beim nächsten Runden Tisch der Klinikleitung mit den Medizinern auf die Tagesordnung zu setzen. Nach dieser unrühmlichen Erfahrung tritt ein desillusionierter Rekonvaleszent entnervt, zugleich aber auch erleichtert, die Heimreise an. aber kein Grund zur Sorge: „Ich werde mich nicht ändern.“

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