© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/15 / 13. März 2015

Schlaflos in Damaskus
Syrien: Länger als erwartet hält Präsident Assad die Stellung, doch die Luft wird von Tag zu Tag dünner
Marc Zöllner

Eigentlich sollte der 8. März ein Feiertag in Syrien sein. Genau an diesem Tage rollten im Jahre 1963 Panzer auf Damaskus zu. Aufständische, mit der arabisch-nationalistischen Baath-Partei verbündete Einheiten der syrischen Armee stürzten damals den amtierenden Präsidenten Nazim al-Qudsi und ernannten die Baathisten anschließend zur alleinigen Regierungspartei.

Beteiligt an der Verschwörung war auch ein 32jähriger Offizier, der später noch Geschichte schreiben sollte: Hafis al-Assad, der nach zwei weiteren, von ihm inszenierten Putschen 1966 erst zum Verteidigungsminister, 1970 zum Premier und ein Jahr später schließlich zum Präsidenten des Landes aufstieg.

Assad übt sich in Optimismus

Einundfünfzig Jahre lang wurde der Sieg der Baathisten über die Regentschaft al-Qudsis stets triumphal gefeiert; auch nach der Jahrtausendwende noch, als Baschar al-Assad seinen mittlerweile verstorbenen Vater im Amt ablöste.

Doch im 52. Jahr der Revolution hält man vergeblich Ausschau nach prunkvollen Militärparaden oder gar Reden des Präsidenten zu seinem Volke. Lediglich ein einzelnes Kommuniqué wurde von der Regierung in Damaskus publiziert. Dessen Hauptinhalt: Der Dank an Nordkorea für seine fortwährende Unterstützung Syriens im Kampf gegen den Terror sowie die Bekräftigung, Syrien und Nordkorea seien „unter den wenigen Ländern auf der Welt, welche wirkliche Unabhängigkeit besitzen“.

Baschar al-Assad hingegen meidet an diesem Tag die Öffentlichkeit. Zwei Monate liegt sein letzter Auftritt vor Publikum bereits zurück, ein Gebet in einer Damaszener Moschee am 3. Januar, dem Geburtstag des Propheten Mohammed.

Drei Tage zuvor besichtigte er die Stellungen seiner Soldaten in Jobar, einem kleinen, der Hauptstadt eingemeindeten Vorort, wo er sich zwischen Sandsäcken und Abwehrgeschützen Neujahr feiernd von der Staatspresse ablichten ließ. Kurz darauf wurde Jobar von Milizionären der radikalislamischen Terrormiliz Islamischer Staat überrannt und eingenommen. Seitdem hält Baschar al-Assad lieber in seinem sicheren Präsidentenpalast Hof. Schlaflosigkeit treibe ihn um. Seine Arbeit sei daran schuld, gesteht er in einem der wenigen Interviews Mitte Februar dem britischen Nachrichtensender BBC.

Ein Blick auf die aktuelle Krisenkarte Syriens bestätigt, worüber sich der autoritär regierende Präsident sorgt. Der Bürgerkrieg in Syrien geht nun ins fünfte Jahr über. Etwa die Hälfte der 20 Millionen Einwohner des Landes gelten als „displaced persons“, als Vertriebene aus ihrer Heimat. Rund vier Millionen von ihnen sind mittlerweile im benachbarten Ausland, in Europa und Übersee untergekommen. Der Rest sucht Schutz in den noch wenigen sicheren Metropolen Syriens, bei den moderaten Rebellen, den Kurden im Nordosten sowie an der Mittelmeerküste. Über 250.000 Menschen habe der Krieg bereits das Leben gekostet, schätzen Experten. Darunter befinden sich nicht nur Zivilisten: Auch Assads Armee, resümiert die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, habe bereits eine große Anzahl an Verlusten einstecken müssen. Gut 200.000 weitere Syrier, berichtete der Spiegel, seien seit Kriegsausbruch in den Folterkellern des Baath-Regimes verschwunden.

Zwar hält die syrische Armee noch immer rund zwanzig Prozent des Landes sowie wichtige Städte wie Palmyra, Hama oder Tartus unter ihrer Kontrolle. Der Belagerungsring um Damaskus schließt sich jedoch langsam, aber sicher. Vom Norden her rücken Islamisten vor; im Süden wiederum konnte die Freie Syrische Armee mehrere strategisch bedeutende Distrikte erobern. Baschar al-Assad glaubt dennoch nicht an eine Niederlage oder gar die Destabilisierung seiner Herrschaft. Auch wenn die Türkei und die USA ihren Kampf gegen ihn weiter ausbauen wollen (JF 10/15).

„Solange die Regierung und die staatlichen Institutionen noch ihre Pflicht dem syrischen Volk gegenüber erfüllen“, erklärt der nur noch von wenigen ausländischen Regierungen anerkannte Präsident, „kann man nicht von einem failed state sprechen.“

Christliche Assyrer haben sich von Alawiten abgewandt

Doch neben der Anzahl der behaupteten Gebiete scheinen mittlerweile auch die Sympathien der ethnischen wie religiösen Minderheiten des Landes, der eigentlichen Stütze des Assadschen Regimes, rapide zu schwinden. Um die anhaltenden Verluste unter den Alawiten, welchen auch Assad angehört und die einen nicht unerheblichen Teil des syrischen Militärs stellen, moralisch zu kompensieren, entwarf die Regierung eine neue Quotenregelung zur Besetzung öffentlicher Ämter: Fünfzig Prozent der Stellen sollen nun den Angehörigen gefallener Soldaten vorbehalten sein.

Andere Minderheiten wie die christlichen Assyrer haben mittlerweile komplett mit Assad gebrochen. Im abgeschiedenen Nordosten des Landes beinahe gänzlich auf sich allein gestellt, waren und sind sie immer wieder Primärziel radikalislamischer Gruppierungen. Ende vergangenen Monats erschütterte die Massenentführung von über 300 Assyrern durch IS-Milizen die Weltöffentlichkeit. Einigen wenigen gelang bisher die Freilassung; der große Rest wird noch immer als Geisel für Lösegelder sowie Gefangenenaustausche festgehalten.

Foto: Einer der seltenen Auftritte von Präsident Baschar al-Assad: Gespräch mit Soldaten in Maaloula, nahe der Hauptstadt Damaskus (20. April 2014)

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen