© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/15 / 13. März 2015

Grüße aus Bern
Vom Virus infiziert
Frank Liebermann

Es isch alles so günschdig“. So schallte ein beliebter Kampfruf von schwäbischen Einkaufstouristen durch Supermärkte. In Horden fielen sie früher in die Schweiz ein. Gerne erinnere ich mich an meine Kindheit, als wir von Oberschwaben in das grenznahe Schweizer St. Margrethen fuhren, um dort einen Tag zu verbringen.

Höhepunkt war immer der Besuch im Migros, einem großen Schweizer Einzelhändler. Dort stürzten sich Massen von sparsamen schwäbischen Hausfrauen auf Nudeln, Kaffee, Tee, Gewürze und andere günstige Lebensmittel, weil sie billiger als in der Heimat waren. Unter anderem dank der starken Deutschen Mark.

Auch in die andere Richtung ging der Einkaufstourismus: Schweizer kauften gerne günstige Kleidung und Kosmetikartikel im benachbarten Grenzland. Seit Einführung des Euro und der Aufhebung der Frankenuntergrenze hat sich das verändert. Der Einkaufstourismus ist inzwischen eine Einbahnstraße. Schweizer kaufen die Grenzgebiete leer, der helvetische Einzelhandel klagt. Waren es früher noch die grenznahen Kantone, die in Deutschland einkauften, verlagert sich der Einkaufstourismus immer weiter in das Landesinnere. Auch die Berner sind nun von dem Virus infiziert.

Der Einkaufstourismus ist eine Einbahnstraße. Schweizer kaufen die Grenzgebiete leer.

Die Gründe dafür sind offensichtlich. Die Preisunterschiede betragen oft hundert Prozent und mehr für identische Produkte. Dies liegt nicht nur am Kurs, sondern auch am sogenannten Schweizaufschlag, der dazu führt, daß Importeure wesentlich mehr für ihre Waren verlangen als in anderen Ländern.

Die Berner Einkäufer füllen die leeren Sitzplätze im Auto gerne mit Kindern, Omas und anderen Personen auf, da die Zollfreigrenzen sich pro Person belaufen. Da ist nicht nur der Einkäufer froh, der das Vierfache an Waren mitnehmen kann. Auch manche Mutti jubelt, daß ihre nervigen Plagen einen ganzen Tag weg sind.

Aber nicht nur Direkteinkäufe stehen im Fokus, auch das Onlineshopping im Euro-Raum boomt. Da viele europäische Onlineshops nicht in die Schweiz liefern oder nur mit saftigen Aufschlägen, haben sich viele Berner im deutschen Grenzgebiet Lieferadressen eingerichtet. Diese nehmen Bestellungen entgegen, der Käufer kann sie dort gegen eine geringe Gebühr abholen. Der Schweizer Einzelhandel tobt und reagiert mit Werbekampagnen – kauft Schweizer Käse, Schweizer Fleisch und Schweizer Babywindeln. Fehlen nur noch Schweizer Bananen.

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