© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/15 / 13. März 2015

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Die Persönlichkeit von Jorgo Chatzimarkakis hat etwas unerfreulich Doppelbödiges: zuerst die Schwebe zwischen zwei Staatsangehörigkeiten, dann eine Doktorarbeit, die er gar nicht selbst geschrieben hat, dann ein liberales EU-Mandat, bei nächster Gelegenheit eingetauscht für die Zusammenarbeit mit linken oder rechten Nationalisten, dann die irritierende Entscheidung zugunsten des – abstammungsmäßigen – Hellenentums, gegen das – bekenntnismäßige – Deutschtum und final der Entschluß, sich als griechischer Sonderbotschafter allen Ernstes für Reparationszahlungen von Vaterland 2 an Vaterland 1 stark zu machen.

„Das Wissen ist nicht Macht – die moderne bürgerliche Fassung entstellt den Sachverhalt; das Wissen führt aber manchmal an die Macht heran, und es ermöglicht einen Anschluß an wirkliche Mächte.“ (Hugo Fischer)

Es wird nicht mehr gepfiffen.

Die genaue Analyse des AfD-Wahlergebnisses in Hamburg gibt doch zu denken. Da haben es also die gutbürgerlichen Wahlbezirke im Zweifel vorgezogen, mit der totgesagten FDP zu gehen, während man in Gegenden mit hohem Arbeiteranteil Erfolg hatte, obwohl die Parteiführung die „nationale Karte“ so zögerlich spielte. Man sollte das sehr ernst nehmen, gerade in jenen liberalen Kreisen, die vom anderen Flügel immer Wohlverhalten erwarten, Loyalität aber für eine Einbahnstraße halten. Die Alternative wird kaum als Alternative funktionieren, wenn ihre Spitze sich den Snobismus der Altparteien gönnt, das heißt immer ein gutes Stück weiter links als die Basis steht.

„In einer Zeit der sozialen und politischen Konflikte ist die maßgebende philosophische Richtung eben deshalb, weil das Wissen von der Begegnung mit den Dingen ausgeht, der Realismus.“ (Hugo Fischer)

Die linke Libération erschien mit der Schlagzeile „Der Front National an der Macht – Gefahr des Bürgerkrieges?“ Das Fragezeichen kaschierte kaum den alarmistischen Tonfall, in dem hier vor dem Ausbruch „extremer Gewalt“ gewarnt und das Ende des sozialen Friedens prognostiziert wird, falls Marine Le Pen bei den nächsten Wahlen erfolgreich sein wird. Ausgangspunkt der Überlegung war ein Übergriff von britischen Fußballanhängern auf farbige Fahrgäste der Metro in Paris. Der Verfasser folgerte daraus, daß im Fall einer Regierungsübernahme des FN alle möglichen aktivistischen Kleingruppen, die sich, zu Recht oder Unrecht, als „Speerspitze“ des Front betrachteten, daranmachen könnten, entsprechende Stoßtrupps zu bilden. Angesichts dieser Gefahr für das „gemeinsame Leben“ müsse man eindringlich vor der Stimmabgabe zugunsten der Rechten warnen – die man offensichtlich auch der eigenen Leserschaft zutraut.

Bildungsbericht in loser Folge LXXII: Wenn es tatsächlich dazu kommt, daß das Kultusministerium in Mecklenburg-Vorpommern die Grund- als Spielschule beseitigt und man an die Stelle der unsäglichen Kompetenzorientierung wieder eine inhaltliche stellte, dann wäre das ein historischer Einschnitt: die erste „Reform“ des Bildungswesens der Bundesrepublik seit fünfzig Jahren, die nicht auf Senkung der Standards angelegt ist.

Nach einer aktuellen Umfrage sind 69 Prozent der Franzosen der Meinung, daß es zu viele Einwanderer im Land gibt (20 Prozent mehr als 2009), derselbe Anteil hält den Islam für eine „negative Religion“, 50 Prozent sind für die Wiedereinführung der Todesstrafe (18 Prozent mehr als 2009) und 85 Prozent überzeugt, daß die Politiker sich nicht für ihre Meinung interessierten.

Vergangenheitsbewältigung und Interesse: Der britische Filmemacher Laurence Rees berichtet, daß ihm die chinesische Regierung bereitwillig die Möglichkeit einräumte, eine Dokumentation über das Massaker von Nanking durch japanische Truppen zu machen, allerdings Aufnahmen und Interviews im Norden des Landes verbot, wo es weitere Kriegsverbrechen gegeben hatte. Eine Begründung erhielt er nicht, bis einem Offiziellen nach übermäßigem Alkoholkonsum herausrutschte, Peking wolle potentielle Geldgeber aus Japan nicht verärgern, die planten, in der Region ein großes Werk der Medienbranche zu errichten.

„Ein Mensch, der zwar mit seiner Leidenschaft dauernd bei der Sache ist, der aber nicht zugleich über der Sache steht, ist dem Parteifanatismus verfallen. Er ist auf einen Aspekt festgelegt, durch eine Parteimeinung abgestempelt. Erst wer über der Sache steht, ‘weiß’ auch etwas von der Sache. Zum Wissen gehört Abstand; der Abstand wird aber nicht damit gewonnen, daß man der Sache neutral gegenübersteht, sondern damit, daß man sich im Getriebe der Leidenschaften ein unabhängiges Urteil bewahrt.“ (Hugo Fischer)

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 27. März in der JF-Ausgabe 14/15.

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