© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/15 / 13. März 2015

Hiob verliert alles
Kino: „Leviathan“ erzählt vom Kampf mit einer korrupten russischen Bürokratie
Wolfgang Paul

Anläßlich der jüngsten Ereignisse sind die Rußland-respektive Putin-Versteher etwas ins Hintertreffen geraten. Da kann es nichts schaden, einmal ins Kino zu gehen und sich den neuen Film von Andrej Swjaginzew anzuschauen. Der russische Regisseur – vom Filmverleih in der angelsächsischen Transskription als Andrey Zvyagintsev angegeben – ist durch sein 2003 mit dem Goldenen Löwen von Venedig ausgezeichnetes Meisterwerk „Die Rückkehr“ bekannt geworden.

Auch „Leviathan“, sein neues Werk, kommt mit hohen Ehrungen in die deutschen Kinos: Der Film erhielt im letzten Jahr in Cannes den Drehbuchpreis und wurde im Januar mit dem Golden Globe für den „besten fremdsprachigen Film“ ausgezeichnet. Wiederum steht ein Familienvater im Mittelpunkt. Der Automechaniker Kolia (Alexej Serebrjakow) lebt mit Frau und Sohn in einem einfachen Holzhaus am Ufer einer kleinen Meeresbucht im hohen Norden Rußlands. Auf dem Grundstück befindet sich auch seine Werkstatt. Unweit ragt ein Wal-Skelett aus dem flachen Wasser. Es ist ein faszinierend archaischer, aber auch ein düsterer Ort, der vermutlich nie genug Sonne abbekommen hat. Dennoch schwebt dem Bürgermeister (Roman Madjanow) Großes mit dem Anwesen vor. Er will Kolia von seinem über Generationen ererbten Grundstück vertreiben und mit einem lächerlichen Betrag abspeisen. Kolia wehrt sich, doch er hat es mit einer korrupten Bürokratie zu tun, in deren Amtsstuben das Porträt des Präsidenten Putin hängt.

Da genügt es nicht, daß ihm Dimitri (Wladimir Wdowitschenkow), ein alter Freund aus Militärzeiten, der jetzt ein erfolgreicher Anwalt in Moskau ist, zu Hilfe eilt. Die Richterin leiert das Berufungsurteil herunter, als sei die Anfechtung der Enteignung schon von vornherein aussichtslos gewesen und ihr der ganze Fall völlig egal. Auch der Versuch, den Bürgermeister mit kompromittierendem Material zum Einlenken zu bewegen, geht nach hinten los. Der Bürgermeister hat die mächtigen Verbündeten, nicht Kolia. Und daß die Geschichte nicht gut enden wird, geben Swjaginzew und sein Kameramann Michail Kritschman von Anfang an durch Außenaufnahmen zu erkennen, in denen den ganzen Tag über Dämmerung herrscht. In dieser diffusen Atmosphäre wird der moderne Hiob sein Recht nicht bekommen. Er wird im Gegenteil alles verlieren, und das heutzutage übliche glückliche Ende, das auch vom Arthouse-Publikum ersehnt wird, muß ersatzlos gestrichen werden.

Regisseur Swjaginzew sagt, er sei durch einen Bericht über die Verzweiflungstat eines Amerikaners in Colorado, die Lektüre des „Michael Kohlhaas“, des Buches Hiob und der politisch-philosophischen Schrift „Leviathan“ von Thomas Hobbes zu diesem Drama angeregt worden. Das Kultusministerium, das den Film mitfinanziert hat, zeigte sich nach dessen Fertigstellung unzufrieden und reagierte mit Vorwürfen. Der Film sei geeignet, die antirussische Stimmung im Westen zu bestätigen. Auch seien die Protagonisten mit ihrem übermäßigen Wodkakonsum und ihrer Begeisterung für Schußwaffen durchweg unsympathisch dargestellt worden. In einem Fernsehinterview erwiderte Swjaginzew, erstaunlicherweise werde sein „Leviathan“ so „mikroskopisch ernst wie ein Dokumentarfilm“ genommen.

Dennoch scheint „Leviathan“ neben seinem Verweis auf die legendäre Leidensfähigkeit der Russen auch zutreffende Anspielungen auf die derzeitige politische Lage zu enthalten. Selbst wenn die Porträts der einstigen sowjetischen Helden als Ziele für Schießübungen herhalten müssen, ist die kollektive Bevormundung im Lande noch lange nicht beendet. Die Staatsmacht ist mit der Kirche verbündet. Die Geschichte von Hiob, die der Priester dem verzweifelten Kolia auf der Straße vorträgt, soll ihm genug Trost spenden. Die Mächtigen bekommen im prachtvollen Gotteshaus den Segen. Das Rußland, das man in den USA und Europa gerne hätte, dürfte so bald nicht zu bekommen sein.

Kinostart: 12. März 2015 http://leviathan-film.de

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