© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/15 / 13. März 2015

„Nun müssen wir uns für das Reich erheben“
Dichtung als Sprengsatz: Ein Theaterstück von Lars Jacob als Lesedrama über die Brüder Stauffenberg und Stefan George
Sebastian Hennig

Lars Jacob hat mit seinem Theaterstück „Stauffenberg. Eine Ästhetik des Widerstands“ gedichtetes Leben und gelebte Dichtung zu einem historisch-dramatischen Bild verbunden. Die Wurzeln des Attentats vom 20. Juli 1944 im Denken und Fühlen des George-Kreises präpariert der Autor fein säuberlich heraus. In einer Vorbemerkung stellt er sicherheitshalber klar: „Der Text dieses Buchs ist fiktiv“, um gleich darauf zu befinden: „Allerdings spricht eine hohe historische und künstlerische Plausibilität dafür, daß es so oder so ähnlich gewesen sein könnte.“ Als Rundfunkautor zahlreicher Hörbilder zur Literatur und Musikgeschichte hat Jacob hinlängliche Erfahrung mit dergleichen Rekonstruktionsversuchen gemacht.

Die Handlung erstreckt sich über gut zwei Jahrzehnte. Stefan George ist der Kristallisationspunkt des Geschehens. In der ersten Hälfte der Zeit ist er unmittelbar gegenwärtig. Danach wirkt das Vermächtnis des Dahingegangenen fast noch gebieterischer. Mika, die Frau Berthold Stauffenbergs, meint über die postume Wirkung zu ihrer Schwägerin: „Mich friert so bei seinen Versen. Er ist ein Ungeheuer, Nina, ein Gespenst, das niemals stirbt.“ Das letzte Gespräch der Brüder ereignet sich im Bewußtsein der selbstgenügsamen Vergeblichkeit ihres Anschlags. Claus sagt zu Berthold : „Wir sind erwählt, Adjib. Der Meister hat uns einst erhoben. Nun müssen wir uns für das Reich erheben.“

Umschwärmter Mittelpunkt der letzten George-Adepten

Das Geschehen beginnt 1922. Der Philologe Albrecht von Blumenthal ist auf Schloß Lautlingen bei der Familie von Stauffenberg zu Gast. Die Eltern dreier Söhne hatten bis vor wenigen Jahren eine bevorzugte Stellung am württembergischen Hof. Mit jovialer Skepsis begegnet der bodenständige Alfred von Stauffenberg der Begeisterung seiner Gattin für Dichtung und Dichter. Der Besucher lenkt die Rede auf Stefan George, für den die Knaben bereits als Pfadfinder schwärmten. Eine Begegnung mit dem Verehrten wird vermittelt.

Ausgangspunkt auf der anderen Seite ist ein schaffensmüder Dichter, der erneuten jugendlichen Umgangs bedürftig ist, um weiter Verse hervorbringen zu können. Die Stauffenbergs werden der umschwärmte Mittelpunkt einer letzten Generation von Adepten. Ernst Kantorowicz’ Buch über den Stauferkaiser Friedrich II. und die Vorstellung vom „Geheimen Deutschland“ ergreifen Besitz von den Brüdern. Nicht nur ihres Namens wegen werden sie als Verkörperung dieser Hoffnungen gesehen. Claus wird durch Max Kommerell bestärkt, in die Reichswehr einzutreten, mit den Worten: „Werde Soldat im Geiste Hölderlins.“

Die erhabene Empfindung und ein stupides Gelüste, das Profane und die Pose liegen dicht nebeneinander. Während einer Italienreise ist Berthold erotischen Nachstellungen durch den Reisebegleiter und kunsthistorischen Präzeptor von Blumenthal ausgesetzt. Vor einem Zusammentreffen mit der Mutter bemerkt George resigniert über deren Rilke-Begeisterung: „Der alte Betörer empfindsamer Frauenherzen mit seinen süßen Schwanensängen. Da kann ich leider gar nicht konkurrieren.“ Caroline von Stauffenberg plaudert erst gelassen mit ihm, um dann in grober Eindeutigkeit zu warnen: „Finger weg von meinen Buben.“

Jacob läßt die Personen in ihrem Rausch und ihren Nöten ganz menschlich erscheinen. Zwischen den Polen von Zweifel und Verzweiflung, Eifersucht und Geltungsstreben, Hoffnung und Ernüchterung, Würde und Fragwürdigkeit spannt sich das Geschehen aus. Da ist der Abfall des gescheiten Kommerell, sein Widerwillen gegen „Das pfäffisch Unterwürfige, dies Um-den-Meister-Rumscharwenzeln“ und zuletzt die Aufspaltung des Kreises im Jahr 1933. Der Zerfall der Gemeinschaft wird buchstäblich an der Totenbahre des Dichters kund. Ob es plausibel ist oder doch eher eine fiktive Zuspitzung, daß zur Ablösung der Totenwache der Hitlergruß präsentiert wurde, läßt sich wohl kaum mehr entscheiden.

Das Attentat als symbolische Botschaft an die Nachwelt

„Stauffenberg“ ist ein Lesedrama. Denn wer möchte schon einen Stefan-George-Darsteller sehen, der sich aus einem Mantel schält, „der wie die abgestreifte Haut eines Reptils im Stuhl liegenbleibt“? Die Dialoge sind im gehobenen Ton des Kreises gehalten. Selbst der weiblichen Opposition ist metrischer Wohlklang geläufig, so in Ninas Klage: „Trefft euch zu euren frommen Andachtsstunden und formt die ewig gleichen klassisch-sturen Köppe in euren Töpferkursen.“ Stellvertretend für das Volk bedeutet Frau Mika den Verschwörern, daß sie kein Wort von ihrem hehren Aufruf verstanden hat. Die Testfliegerin Melitta von Stauffenberg ruiniert sich körperlich in ihren Stürzen, während der Professorengatte Alexander sich immer tiefer ins Griechentum hineindichtet.

Mit den Gedichten und Bemerkungen Georges, den Berichten über ihn und seinen Kreis hatte der Autor umfangreiches Material zur Verfügung. Manche verfassen ihr Tagebuch und ihre Briefe mit Seitenblick auf die postume Veröffentlichung. Diese Menschen gingen noch einen Schritt weiter. Sie waren bestrebt, bühnenreif zu leben und zu handeln. Das Attentat in aussichtsloser Lage war ihnen eher eine symbolische Botschaft an die Nachwelt als ein politisches Signal für die Mitwelt.

Die Selbststilisierung der Anhänger des herrischen Poeten macht eine künstlerische Überformung der einzelnen überlieferten Ereignisse beinahe überflüssig. Für das Stück brauchte nur Vorgefundenes chronologisch plausibel und dramatisch spannend auf die sieben Aufzüge mit Prolog und Epilog verteilt zu werden. Lars Jacob ist ein Baumeister, der sein Werk aus Spolien errichtet. Aus zahlreichen verbürgten Einzelheiten ersteht ein Gebäude, dessen Fugen sauber gesetzt sind. Das Ganze wirkt nicht wie ein aus Werkstücken zusammengesetztes Ganzes, sondern wie die Rekonstruktion einer zerfallenen Einheit. Der Autor ist mehr Restaurator als Modellbauer. Die Verdichtung der Wirklichkeit ist ihm gelungen.

Im Gegensatz zur wissenschaftlichen Untersuchung erlaubt die schöne Literatur, den gelebten Mythos weiterzudichten. Der Leser erfährt alles über Stefan Georges Wirkung in diesem gedrungenen Bild, jedenfalls weit mehr als die anwachsende Sekundärliteratur mit ihren teils abwegigen Spekulationen erhellen kann. Biographien im Anhang erweitern die Einblicke auf die Vor- und Nachgeschichte der wichtigsten Personen.

Lars Jacob: Stauffenberg. Eine Ästhetik des Widerstands. Plöttner Verlag, Leipzig 2014, gebunden, 160 Seiten, 14,90 Euro

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