© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/15 / 13. März 2015

Der Durchmarsch des linken Menschenbildes
Die Buntheit vor dem Nichts
Norbert Borrmann

Andere Rasse, andere Pille“, konnte selbst das Flaggschiff der Politischen Korrektheit, Die Zeit, 2002 (Nr. 39) noch titeln. Gemeint war damit, daß die einzelnen Menschenrassen auf Arzneien teilweise unterschiedlich reagieren, weshalb rassenspezifische Medikamente entwickelt wurden. Vier Jahre später verwies dieselbe Zeitung in einer Überschrift auf weitere Rassenunterschiede: „Rohfisch für Japaner, Innereien für Bayern: Welches Essen wir am besten verdauen, bestimmen unsere Gene“ (Nr. 46, 2006).

Das ist nur eine kleine Auswahl der Merkmale, in welchen die einzelnen Menschenrassen differieren. Zudem gibt es nachweislich Unterschiede im Sexualverhalten, Schmerzempfinden, Reifungsprozeß, in der Fruchtbarkeit, Lebenserwartung, Familienstabilität oder im besonders „heiklen“ Bereich der Intelligenz.

Trotz dieser wissenschaftlich belegbaren Fakten haben die einzelnen Menschenrassen aufgehört zu existieren – zumindest nach dem Willen der Politik. Auf Antrag der Grünen und der Piraten soll der Begriff „Rasse“ aus der Berliner Verfassung getilgt werden. Verfolgt werden kann somit niemand mehr aufgrund seiner Rasse, sondern nur noch „aus rassistischen Gründen“. Die menschlichen Rassen sind demnach lediglich ein Konstrukt von „Rassisten“. Mit der geplanten Streichung des Rassebegriffs folgt das Berliner Abgeordnetenhaus einem Vorschlag der Europäischen Union. Aus der Verfassung des Landes Brandenburg wurde er bereits gelöscht. Eine Streichung aus dem Grundgesetz ist im Gespräch.

Der Begriff Rasse ist zum Tabu geworden. Während es bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts noch Rassenkrawalle gab, hören wir heute nur noch von „Jugendunruhen“. Über den genetischen Fingerabdruck könnten Rechtsmediziner aus am Tatort hinterlassenen Blut- oder Schweißspuren ohne weiteres eine detaillierte rassische Zugehörigkeit des Tatverdächtigen ermitteln. Bei einem unbekannten Täter würde das die Fahndung ungemein erleichtern. Da es aber offiziell keine Rassen mehr gibt beziehungsweise diese Facette eines genetischen Fingerabdrucks als „rassistisch“ eingestuft wird, dürfen rassische Merkmale nicht ermittelt werden.

In neueren Lexika, sogar im Endloslexikon Wikipedia, taucht das Schlagwort „Menschenrassen“ überhaupt nicht mehr auf – ein Stichwort, das einst, reich illustriert, in keinem Nachschlagewerk fehlte. Der Hamburger Humanbiologe Rainer Knußmann wurde zur vorzeitigen Emeritierung genötigt, weil er es in einer Vorlesung gewagt hatte, die drei Großrassen: Schwarze, Weiße, Gelbe beziehungsweise Negride, Europide und Mongolide, namentlich zu erwähnen. Was im 19. Jahrhundert für die Sexualität galt, gilt heute für die Existenz der menschlichen Rassen – das soll heißen, die „gute Gesellschaft“ schweigt darüber. Wer dagegen verstößt, hat mit beruflichen und gesellschaftlichen Konsequenzen zu rechnen.

Die Linke hat nach der überraschenden Wiedervereinigung das Feld keineswegs geräumt. Zwar verzichtet sie seitdem auf das Herzstück ihrer Ideologie, die Verstaatlichung der Produktionsmittel, aber den „Überbau“, die Bewußtseinsindustrie, hält sie fest im Griff.

Doch nicht nur die Menschenrassen werden politisch korrekt entsorgt, sondern ebenso die Geschlechter. Für den klassischen Linken kommt der Mensch als weitgehend unbeschriebenes Blatt oder „leere Tafel“, Tabula rasa, auf die Welt. Er ist quasi eine Null, gänzlich ohne eigenes Ich, und seine spätere Identität lediglich ein Resultat seiner Umwelt. Daher akzeptiert er selbst zwischen den Geschlechtern nur noch den „kleinen Unterschied“ im Genitalbereich. „Als Frau wird man nicht geboren, zur Frau wird man gemacht“, lautet nicht von ungefähr ein alter Spruch des Feminismus. Nach der BRD-Ikone Alice Schwarzer ist das „biologische Geschlecht ein Faktor von vielen … der den Menschen ausmacht – ihn aber nicht definiert.“

Da die Biologie hier also ohnehin nichts „definiert“, darf sie getrost übergangen werden. Geschlechterrollen sind nur erlernt, Mann und Frau lediglich eine Erfindung. Selbst die sexuelle Anziehung der Geschlechter ist nach dieser Ideologie Auswuchs des sozialen Geschlechts und zielt nicht darauf, zwecks Paarung die menschliche Gattung zu erhalten, sondern wird vorrangig als das Resultat patriarchalischer Unterdrückung zur Errichtung der „Zwangsheterosexualität“ gesehen.

Der linke Egalitarismus, der die biologische Vielfalt beim Menschen trotz aller Vererbungswissenschaft, aller Konstitutionsforschung, aller Neurobiologie, aller Verhaltensforschung, aber auch aller Erfahrung dreist ausblendet und alle natürlichen Verschiedenheiten als Ungerechtigkeiten betrachtet, versucht diese „Ungerechtigkeiten“ auf gesellschaftspolitischer Ebene mit allen Mitteln zu bekämpfen. Zu seinen Versuchen, alles gleich zu machen, zählt die Quotendiktatur, die in den 1960er Jahren in den USA unter dem Begriff „Affirmative Action“ aufgekommen ist und die alle Gruppierungen, alle „Minderheiten“, rein schematisch, proportional zu ihrem Bevölkerungsanteil, bei der Vergabe von Arbeits- und Studienplätzen berücksichtigen will.

Demselben Kanon entstammen die geschlechtsneutrale Erziehung und Sprache, aber auch die Kinderkrippen, durch die man das Kleinkind möglichst schnell der Mutter und dem familiären Umfeld entreißen möchte, um es durch die staatliche Erziehung frühzeitig gleichzuschalten. Das den kleinen Kindern damit angetane Leid wird von den linken Egalitätsdogmatikern in ihrer „bösartigen Menschenliebe“ kalt verdrängt. Mittlerweile macht der Gleichheitswahn nicht einmal mehr vor behinderten Kindern halt. Durch die Inklusion können selbst solche Schüler das Gymnasium besuchen, die bereits auf einer Hauptschule restlos überfordert wären. Wem ist damit gedient? Den behinderten Kindern zuletzt, da sie in ein schulisches Umfeld geraten, in dem sie Außenseiter bleiben werden. Aber die Inklusion illustriert grell die Dominanz eines links-egalitären Weltbildes, in dem die „reine Lehre“ stets höher bewertet wird als das Menschenwohl.

25 Jahre nach der Wiedervereinigung hat das linke Menschenbild gesiegt. Das mag zunächst überraschen. Stand die Linke doch – die westliche vielleicht noch mehr als die östliche – unter Schockstarre, weil in ihrem „aufgeklärten“ Weltbild weder die Implosion des Kommunismus noch die Wiedervereinigung vorgesehen war. Aber gerade die westliche Linke räumte deswegen keineswegs das Feld unter dem Motto: „Tschüß – wir haben uns leider geirrt.“ Im Gegenteil: Mit dem Ausscheiden der Vor-Achtundsechziger-Generation konnte sie ihre Positionen weiter ausbauen; denn nachrücken darf jetzt nur noch, wer ihres Geistes Kind ist. Zwar verzichtet die Linke seitdem auf das Herzstück linker Ideologie, die Verstaatlichung der Produktionsmittel, aber den „Überbau“, die Bewußtseinsindustrie, hält sie fest im Griff. Von hier aus startet sie ihren „Kampf gegen Rechts“ ebenso wie die Neuformung des Menschen.

Rasse, Volk, Nation, Geschlecht, Abstammung, Familie, kurzum alles lebendig Gewachsene, Besondere und Identitäre, soll als „Konstrukt“ und „Fiktion“ entlarvt und „dekonstruiert“ werden, damit der „Eine Mensch“, der etwa so vielfältig wie ein Einzeller ist, den Erziehungslabors linker Sozialingenieure entsteigen kann; denn das ist das – unausgesprochene – Endziel aller linken Pädagogik: der Einheitsmensch, die Aneinanderreihung unverbundener, gleicher einzelner – ohne Rasse, ohne Klasse, ohne Geschlecht.

Der Neue Mensch der Linken entspricht dem, was sich auch ein global operierender Wirtschaftsliberalismus wünscht: den bindungslosen, nach der Tagesparole ausgerichteten Menschen, ohne Rasse, ohne Geschlecht, ohne Volk, ohne Familie.

Dieser trostlose, linken Hirnen entsprungene Esperantomensch wird nun, um ihn den Massen schmackhaft zu machen, mit allerlei Phrasen ummantelt, die sein wahres Wesen verschleiern: Vielfalt, Buntheit, „Diversity“ heißen die Schlagworte. Doch woher sollen diese schönen Eigenschaften kommen? Biologische Unterschiede darf es so gut wie nicht mehr geben. Allein die Wahrnehmung verschiedener Rassen wird als Rassismus eingestuft, die verschiedener Geschlechter als Sexismus. Die staatliche Erziehung soll, um keine „Ungerechtigkeiten“ aufkommen zu lassen, bereits im Kleinkindalter einsetzen und folgt – um niemanden zu „diskriminieren“ – strikt dem Leitbild der Egalität. Woher soll also die beständig hinausposaunte Vielfalt kommen, wenn zuvor alles Eigene, Besondere, Identitäre ausgelöscht oder vollkommen ignoriert wird? Nachfragen zu diesem Grundwiderspruch sind allerdings nicht erwünscht.

„Buntheit“ bedeutet heute Maskerade. Das ist im Grunde die einzige Vielfalt, die nicht nur geduldet, sondern sogar gefördert wird. Daher begegnet uns der Karnevalsklamauk nicht mehr nur im Fasching, sondern auch beim Karneval der Kulturen, beim Christopher Street Day oder beim Eurovision Song Contest, wo er Conchita Wurst heißt.

Das Zwitterwesen Conchita Wurst, mal in Damen-, mal in Herrenkleidung, mal glitzrig, mal schlicht, mal mit aufgemaltem Bart, mal ohne, mal mit Perücke, mal ohne, entspricht genau dem, was sich der brave Bürger unter „Buntheit“ und „Vielfalt“ vorzustellen hat. Der „irre Kult“, der heute um Homosexuelle, Transvestiten und so weiter betrieben wird, hat die Funktion, in einer Welt, die tatsächlich immer gleichförmiger und austauschbarer wird, „Buntheit“ und „Vielfalt“ zu suggerieren. Die Überlegung, ob Conchita Wursts Zwittercharakter genetisch disponiert sein könnte, würde jedoch einem unverzeihlichen Fauxpas gleichen; denn selbstverständlich ist Frau/Herr Wurst ein selbstbestimmtes Individuum, das sich kraft ihres/seines emanzipierten Ichs permanent neu erfinden kann.

Die Floskel vom Ich, das sich neu erfindet, hat mittlerweile Karriere gemacht (JF 28/14) und verweist nüchtern betrachtet auf den bindungs- und identitätslosen Menschen, der sich markt- und zeitgeistkonform ständig neu verkaufen muß, indem er sich „aktualisiert“. Damit entspricht der „Neue Mensch“ der Linken zugleich dem, was sich auch ein global operierender Wirtschaftsliberalismus wünscht: den bindungslosen, nach der Tagesparole ausgerichteten Menschen, ohne Rasse, ohne Klasse, ohne Geschlecht, ohne Volk, ohne Familie, ohne Tradition. Er turnt flexibel durch das Leben und wechselt bei Bedarf das Kostüm. Die „Buntheit“, die dabei herauskommt, ist nur eine übergroße Karnevalsmaske, hinter der das blanke Nichts lauert.

 

Dr. Norbert Borrmann, Jahrgang 1953, ist Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler. 2009 erschien von ihm das Buch „Kulturbolschewismus oder Ewige Ordnung. Architektur und Ideologie im 20. Jahrhundert“ im Grazer Ares-Verlag. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über Politische Korrektheit („Der Spießer steht links“, JF 5/14).

Foto: Eurovision-Barde Tom Neuwirth alias Conchita Wurst gastierte im Oktober 2014 auf Einladung der Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, der österreichischen Grünen Ulrike Lunacek (l.), vor dem EU-Parlament: Das breit angelegte Bündnis für ein „vielfältiges Europa“ feierte seinen Erfolg

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