© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/15 / 13. März 2015

Die Einverleibung abgewendet
Vor 75 Jahren unterzeichneten der sowjetische Außenkommissar Molotow und Finnlands Ministerpräsident Ryti den „Frieden von Moskau “
Jürgen W. Schmidt

Dem am 12. März 1940 unterzeichneten „Frieden von Moskau“ war eine handfeste sowjetische Aggression vorausgegangen, mit welcher Stalin die Dividende seiner beiden Pakte mit Hitler vom August/September 1939 einfuhr. Finnlands frühere Schutzmacht Deutschland befand sich ab September 1939 im Kriegszustand mit Frankreich und England. Daher war man in Deutschland auf das Wohlwollen Stalins angewiesen.

Die Sowjetunion übte gegenüber Deutschland bis Juni 1941 tatsächlich eine mehr als wohlwollende Neutralität aus und stellte der Kriegsmarine Flottenbasen im Nordmeer zur Verfügung. Auch verpflichtete man sich insgeheim vertraglich am 11. Februar 1940, im Ausland für das blockadegehemmte Deutschland als Käufer für Metalle und Rohstoffe aufzutreten. Im Gegenzug mußte Hitler Stalin im Verhältnis zu dessen kleinen osteuropäischen Nachbarstaaten freie Hand lassen.

Stalin nötigte Finnland im Oktober 1939 Verhandlungen über größere territoriale Abtretungen auf. Als Finnland darauf verständlicherweise nicht einging, organisierte man am 27. November 1939 einen „Grenzzwischenfall“, bei welchem eigene Artillerie den sowjetischen Grenzort Mainila beschoß. Die sowjetische Führung kündigte nach jenem Vorfall den seit 1932 bestehenden sowjetisch-finnischen Nichtangriffsvertrag, brach die diplomatischen Beziehungen ab und ging am 30. November 1939 ohne formelle Kriegserklärung zum Angriff auf das kleine, nur 3,5 Millionen Einwohner zählende Finnland über.

Man glaubte an einen leichten und vor allem schnellen Sieg, doch Stalin sollte sich schwer täuschen. Die finnischen Soldaten kämpften verbissen gegen die Übermacht der mit Tausenden Panzern mechanisierten Roten Armee, deren Wirkung im einsetzenden „Winterkrieg“ nur unzureichend einsetzen konnte. Obwohl schlechter ausgerüstet, kämpften die Finnen 105 Tage ungemein tapfer und initiativreich, während sich die finnische Bevölkerung selbst durch brutale Luftbombardements nicht entmutigen ließ. Finnland stand in diesem Kampf, abgesehen von Kriegsfreiwilligen aus dem angesichts der sowjetischen Aggression sehr besorgten Schweden, völlig allein. England und Frankreich sowie die USA waren ängstlich bemüht, nicht etwa durch eine aktive Unterstützung Finnlands die „neutrale“ Sowjetunion völlig ins deutsche Lager zu treiben.

Stalin konnte sich deshalb das politische Possenspiel erlauben, offiziell zu behaupten, er stünde gar nicht mit Finnland im Kriegszustand, sondern unterhalte im Gegenteil beste Beziehungen zur finnischen Regierung. Damit war allerdings nicht die gewählte finnische Regierung, sondern eine aus finnischen Exilkommunisten bestehende Quislingregierung unter Otto Kuusinen gemeint, welche man im finnischen Grenzdorf Terioki installierte.

Nach den ersten Niederlagen im „Winterkrieg“ und dem massenhaften Auftauchen von Deserteuren auf sowjetischer Seite setzte Stalin brutal seine überwältigende Militärmaschine ein, um durch den Sturm der „Mannerheimlinie“ Finnland zur Kapitulation zu nötigen. Im Februar 1940 sah sich Finnland angesichts der gegnerischen Übermacht genötigt, in Friedensverhandlungen einzutreten. Neben größeren Gebietsabtretungen auf der Karelischen Landenge samt der Stadt Wiborg sowie der Fischer-Halbinsel im Norden mußte man der Sowjetunion militärische Stützpunkte auf der Halbinsel Hangö einräumen.

Doch wegen des tapferen Widerstandes kam es in Finnland weder zu einem „Regimechange“, noch wurde Finnland der Sowjetunion einverleibt, wie es kurz darauf die drei baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland mit sich geschehen ließen. Im „Winterkrieg“ zeigte sich deutlich die führungsmäßige und technische Schwäche der Roten Armee. Stalin setzte daraufhin den bisherigen Verteidigungskommissar Woroschilow ab und ersetzte ihn durch Marschall Timoschenko.

Besetzte finnische Gebiete hemmungslos ausgeplündert

Im Finnlandkrieg bewährte sowjetische Offiziere machten schwindelerregende Karrieren. So stieg der damals mit dem Titel „Held der Sowjetunion“ ausgezeichnete Divisionskommandeur Oberst Michail Kirponos binnen kurzem zum Generaloberst und Befehlshaber des wichtigen Militärbezirks Kiew auf. Kirponos erschoß sich dann im September 1941, als er, fachlich völlig überfordert, als Oberbefehlshaber der Südwestfront in der Kesselschlacht von Kiew gegen die Deutschen die größte militärische Niederlage zu verantworten hatte, welche die Sowjetunion je erlebte.

Und noch eins zeigen 2010 in Petersburg publizierte Geheimdokumente des NKWD: Ab Kriegsbeginn im Dezember 1939 plünderten sowjetische Soldaten und Zivilisten infolge der sowjetischen Mangelwirtschaft hemmungslos in den besetzten finnischen Landstrichen.

Foto: Finnische Soldaten bekämpfen feindlichen Bunker im finnisch-sowjetischen Winterkrieg: Finnland stand in diesem Kampf völlig allein

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