© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/15 / 13. März 2015

Knapp daneben
Lichtblick für die Demokratie
Karl Heinzen

Ist Barbara Schöneberger die Totengräberin der Demokratie? Diese bange Frage stellt sich Fernsehdeutschland, seit die Moderatorin des Vorentscheids zum Eurovision Song Contest (ESC) das Lea-Meyer-Landrut-Double Ann Sophie zur Siegerin erklärte. Eigentlich hatten die Zuschauer den Brummbären Andreas Kümmert mit einem eindeutigen Votum von 78,7 Prozent auf die Reise nach Wien schicken wollen.

Der sensible Blues-Sänger erklärte aber vor laufender Kamera, daß er sich nicht in der Verfassung befinde, die Wahl anzunehmen. Obwohl es doch nur um seine persönliche Befindlichkeit ging, rief er damit den Ausnahmezustand aus, für den die ESC-Demokratie bislang keine Regeln vorsieht.

Welche Handlungsalternativen standen Barbara Schöneberger nun zur Wahl? Sie hätte sich natürlich für unzuständig erklären und die Entscheidung an die Regie der Sendung delegieren können.

Wie beschwingt könnten Wahltage sein, wenn die Aussicht bestünde, daß der Sieger sein Mandat ablehnt.

Eine Wiederholung der Abstimmungen oder gar der Sendung insgesamt wäre die mögliche Folge gewesen. Stattdessen ließ sie die Moderatorin hinter sich und schlüpfte in die Rolle der Diktatorin, die dort, wo die Verfassungsordnung endet, lieber eine souveräne Entscheidung fällt, als diese einfach nur auszusitzen. Dankbarkeit durfte sie dafür nicht erwarten. Die öffentliche Meinung weiß selten den Mut von Diktatoren zu würdigen, in prekären Lagen Verantwortung zu übernehmen. Der Fernsehplebs, der für Kümmert votierte, mokierte sich darüber, daß seine Stimme verloren sei und er auch noch die Kosten seines Anrufs oder seiner SMS tragen müsse. Gralshüter des Wettbewerbs wie Ralph Siegel erhoben die Stimme und warfen die Frage auf, auf welcher Legitimitätsgrundlage Ann Sophie nun eigentlich in Wien mit „Black Smoke“ an den Start gehe.

Die Bürger könnte dies nur erschrecken, wenn ihr Glaube an die Demokratie ungebrochen wäre. Sie wissen aber längst, daß ihre Stimme wenig wert ist. Daher dürfte Kümmerts Verzicht für sie auch eher ein Lichtblick sein. Wie beschwingt könnten Wahltage sein, wenn die Aussicht bestünde, daß der Sieger sein Mandat ablehnt.

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