© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/15 / 13. März 2015

Preußen erfüllte sein Versprechen
Waterloo 1815: Der Historiker Johannes Willms blickt 200 Jahre nach „Belle Alliance“ auf Napoleons verheerende Niederlage zurück
Dag Krienen

Es gibt kaum ein militärisches Ereignis, das in der allgemeinen Erinnerung präsenter ist als Napoleons letzte Schlacht, die dieser vor 200 Jahren, am 18. Juni 1815, südlich von Brüssel schlug und verlor. Das ist nicht zuletzt das Ergebnis der Namensgebung durch einen der Kontrahenten des französischen Kaisers, den Herzog von Wellington. Denn der zweite wichtige Kontrahent des Korsen, der preußische Marschall Blücher, dessen gerade noch rechtzeitig auf dem Schlachtfeld erscheinende Truppen die hart bedrängten Einheiten Wellingtons vor einer Niederlage bewahrten, hatte vorgeschlagen, die Schlacht nach einem Gasthaus zu benennen, das bei Beginn der Schlacht im Zentrum der französischen Linien lag: La Belle Alliance.

Das noch heute existierende Gebäude verdankte zwar seinen Namen nur einem „schönen Ehebündnis“, doch ließ dieser sich auch als Symbol für ein ebensolches militärisch-politisches Bündnis verstehen. Der Herzog von Wellington, der weitreichende politische Ambitionen besaß, entschied indes anders, um den Sieg in der Schlacht als sein alleiniges Verdienst verkaufen zu können. Er benannte sie nach einem gut vier Kilometer nördlich des Schlachtfeldes gelegenen Dorf, in dem er am Vorabend Quartier genommen hatte: Waterloo.

Seine Strategie bei der Namenswahl ging auf. Waterloo gilt bis heute vor allem als ein Sieg der Briten, im englischen Sprachraum wurde dieser Name sogar zu einem stehenden Begriff. Ein Waterloo bereitet zu bekommen gilt als Synonym dafür, eine vernichtende Niederlage zu erleiden. Das konnte im übrigen eine schwedische Popgruppe vor fast 40 Jahren bei einem europäischen Singe-wettbewerb dazu nutzen, eine äußerst erfolgreiche Karriere einzuleiten.

Johannes Willms will in seinem neuesten Buch diesem Mythos und der einseitigen nationalen Vereinnahmung etwas entgegensetzen. Als Experte für das 19. Jahrhundert, der zudem in den letzten Jahren eine dickleibige Biographie Napoleons (Napoleon. Eine Biographie, München 2005) sowie zwei Bücher über den Napoleonmythos (Napoleon. Verbannung und Verklärung, München 2000; St. Helena. Kleine Insel, großer Wahn, Hamburg 2007) geschrieben hat, ist er dafür der richtige Mann. Auch wenn er an „Waterloo“ als Namen der Schlacht nicht rüttelt, rehabilitiert er doch die – natürlich auch mit Hintergedanken verbundene – Namenswahl Blüchers. Tatsächlich war „Belle Alliance“ bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts im deutschen Sprachraum sogar die bei weitem gebräuchlichste Bezeichnung.

Der eigentlichen Schlacht von Waterloo widmet Willms nur 40 von 250 Textseiten seines Buches, die anderen hingegen ihrem politischen und militärischen Kontext. So wird deutlich, daß die Niederlage Napoleons im Sommer 1815, die zu seinem endgültigen Abgang von der politischen Bühne Europas führte, das Ergebnis einer erfolgreichen Allianzpolitik und Allianzkriegführung und nicht das einseitige Verdienst Wellingtons oder „der Engländer“ war.

Schon das heterogene Heer des Herzogs war kein „englisches“, sondern setzte sich aus einem Sammelsurium von britischen Verbänden, Truppen des soeben neu gebildeten Königreichs der Vereinigten Niederlande (von Willms meist mit Rücksicht auf den heutigen Leser als niederländisch-belgisch bezeichnet) sowie Kontingenten aus mehreren deutschen Mittel- und Kleinstaaten (Nassau, Hannover, Braunschweig) zusammen, die ebenfalls erst vor kurzem wieder restauriert worden waren.

Auch einer der besten „britischen“ Verbände, die „Kings German Legion“, bestand aus alterprobten Soldaten des 1805 von Napoleon besetzten Kurfürstentums Hannover, das durch Personalunion mit der britischen Krone verbunden war. Da rund ein Drittel der Soldaten Wellingtons Deutsche (und nochmals fast so viele Belgier und Holländer) waren und daneben Preußens Truppen eine maßgebliche Rolle spielten, hat vor einigen Jahren ein deutsch-englischer Historiker den Waterloo-Feldzug sogar als einen „deutschen Sieg“ (Peter Hofschröer: The Waterloo Campaign. The German Victory“, London 1999) bezeichnet.

Das geht Willms indes zu weit, da er einem eher postnationalen Gedenken an die Schlacht den Weg bereiten möchte. Im deutschen Geschichtsbewußtsein hat „Waterloo“ nie eine so bedeutende Rolle gespielt wie im britischen oder französischen. Nicht zuletzt deshalb kann Willms den Beitrag Blüchers, seines Stabschefs Gneisenau und der preußischen Truppen zur Niederwerfung Napoleons stärker herausstreichen, ohne in den zumindest in seinen Augen mißlichen Ruf nationaler Apologetik zu geraten.

Insgesamt hat er so ein wertvolles, gut lesbares Buch vorgelegt, das allerdings wie die meisten seiner Werke einen historisch gebildeten Leser voraussetzt. Gelegentlich räumt er bestimmten Teilen der politischen Vorgeschichte einen zu breiten Raum ein. Es ist nicht zwingend nötig, die Umstände der ersten Abdankung Napoleons 1814 so detailliert zu beschreiben, wie er es tut. Ähnliches gilt für den in allen Einzelheiten beschriebenen Versuch Napoleons, seinem erneuerten Kaisertum nach der Rückkehr von Elba einen konstitutionellen Anstrich zu verleihen. All dies hilft Willms aber, Bonaparte als jenen Hazard-Spieler zu kennzeichnen, der er zweifellos war, der allerdings auch ein großes Talent besaß, politische und militärische Chancen frühzeitig zu erkennen.

Auch wenn seine Stärken eher auf politikgeschichtlichem Gebiet liegen, versteht Willms genug von Militärgeschichte, um alle wichtigen Aspekte des Feldzuges von 1815 zu erfassen. Daß er gelegentlich die eine oder andere taktische Feinheit nicht ganz richtig einordnet, fällt kaum ins Gewicht. Den Gesamtzusammenhang der strategischen und operativen Pläne und Bewegungen Napoleons und seiner Gegner versteht er plausibel und anschaulich darzustellen. Das Buch ist zudem mit einigen Karten, darunter einer großen Faltkarte, ausgestattet, um die oft verwinkelten Züge der Kontrahenten nachverfolgen zu können. Leider sind sie nicht immer von bester Qualität und meist ohne Legende, ein Manko, das indes mehr dem Verlag als dem Autor anzulasten sein dürfte.

Wie immer im Kriege, siegte bei Waterloo nicht der, der keine, sondern der, der weniger Fehler machte als seine Gegner. Dem „Spieler“ Napoleon konzediert Willms, daß seine ursprüngliche Feldzugsplanung, die darauf hinauslief, Preußen und Briten getrennt zu halten und zu schlagen, brillant war. Die Durchführung litt aber nicht nur an den gewöhnlichen Friktionen der Kriegsführung, sondern auch daran, daß sich die vom Kaiser gewählten Unterführer der Situation nicht gewachsen zeigten. Marschall Michel Ney auf dem linken Flügel galt zwar als tapfer, aber auch als beschränkt und bar jeder taktischen Finesse. Marschall Emmanuel de Grouchy auf dem rechten war ein erfahrener Truppenführer, besaß aber kein Gespür dafür, wann man Befehle besser nicht wörtlich befolgt.

Napoleons unglückliche Auswahl war das Ergebnis politischer Zwänge, aber auch der Tatsache, daß 1815 seine besten Marschälle die Chancen des zurückgekehrten Kaisers als nicht besonders hoch einschätzten und entweder ins Exil gingen oder sich anderweitig der Reaktivierung entzogen. Während des Feldzuges ließ Napoleon zudem seine Untergebenen oft über seine Absichten im unklaren. Immerhin bewies er das richtige Gespür, indem er zunächst vor allem die Preußen auszuschalten versuchte.

Wellington hingegen glaubte, daß nur er das erste Ziel sein konnte, und bezog Stellungen, die vor allem den Rückzug zur Küste sichern sollten. Dies gab Napoleon die Gelegenheit, Blücher bei Ligny eine Niederlage zuzufügen, um sich danach Wellington zuzuwenden. Die Preußen hatten indes nur eine Schlappe erlitten. Gneisenau und Blücher verzichteten nun auf die Deckung der eigenen Rückzugslinien nach Osten und zogen sich in nördlicher Richtung nach Wavre zurück, einem nur einen halben Tagesmarsch von Waterloo entfernten Ort. Das war nicht ungefährlich, doch allein so konnten sie das Wellington gegebene Beistandsversprechen einhalten. Dieser Entschluß rettete den Feldzug für die Alliierten. Am 18. Juni erfüllten die Preußen ihr Versprechen und erschienen rechtzeitig auf dem Schlachtfeld. Und Napoleon war Geschichte.

Johannes Willms: Waterloo. Napoleons letzte Schlacht. Verlag C. H. Beck, München 2015, gebunden, 288 Seiten, Abbildungen, 21,95 Euro

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