© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/15 / 13. März 2015

Mit viel Gefühl für den Islamisten
Die Islam-Lobbyistin Lamya Kaddor deutet das Erstarken der Salafisten hierzulande als eine Jugendprotestbewegung gegen deren soziale Ausgrenzung durch die Deutschen
Fabian Schmidt-Ahmad

Die öffentliche Wahrnehmung des Islams spaltet sich hierzulande in zwei Kategorien. In der einen sind alle Moslems integriert, teilen unsere Werte, bereichern unser Leben, machen Deutschland bunter und vielfältiger, was deren Verdienst sei. In der anderen gibt es das eine oder andere Problem, wofür aber nicht die Moslems selbst verantwortlich seien, sondern irgendwelche gesellschaftlichen Prozesse, für die letztlich die Deutschen zuständig sind.

Benötigt man für diese Sicht einen Kronzeugen, ein freiheitlich-demokratisches Aushängeschild der ersten Kategorie, so wird häufig die Islamwissenschaftlerin und Religionslehrerin Lamya Kaddor genannt. Die Tochter syrischer Einwanderer, 1978 in Ahlen geboren, steht für gelungene Integration, für eine liberale Auffassung des Islam. Vor allem aber steht sie für Lobbyarbeit in eigener Sache, wovon auch das jüngste Buch der beinahe omnipräsenten Talkshow-Teilnehmerin zeugt.

„Zum Töten bereit“ beschäftigt sich mit dem Phänomen des sogenannten Salafismus. Aus der Sicht Kaddors ein Problem von „Jugendlichen“ aus sozial prekären Verhältnissen: „Hoch ist die Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen, die sich selbst struktureller Gewalt durch den Staat ausgesetzt sehen“, heißt es im besten Soziologendeutsch. „Ausgrenzung und Stigmatisierung“ seien für „einige der Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Deutschland leider eine fast alltägliche Erfahrung“.

Da könne es schon mal passieren, daß einige „ihre negativen Erfahrungen“ und „Ohnmachtsgefühle“ mit „einem gezielten Faustschlag“ kompensieren. In dieses Gewaltpotential stoße der politische Salafismus, der die Möglichkeit biete, „ihrerseits andere Menschen abzuwerten, zu diskriminieren, darunter sogar genau diejenigen, von denen sie sich vorher selbst diskriminiert gefühlt haben“, schreibt Kaddor.

Die „früheren Opfer der Gesellschaft“ stehen nun mit den Salafisten auf der Seite der Guten, können das Böse ideologisch untermauert von einem fundamentalen Islam bekämpfen. Konsequenterweise sieht Kaddor die Pegida-Bewegung nicht als Reaktion, sondern unterstellt ihr, gemeinsam mit Salafisten, an der Radikalisierungsspirale zu drehen. Denn „das eine Extrem – hier der Salafismus – bedingt in der Regel das andere Extrem – den Islamhaß – und umgekehrt“.

Dürfte die Charakterisierung des Salafismus als eine – irgendwie verständliche – „Jugendprotestbewegung“ schon zynisch klingen, legt Kaddor richtig los, wenn sie sich über islamischen Terrorismus ausläßt. So appelliert sie ernsthaft an mäßigende Stimmen, die darauf hinweisen sollen, „daß die Wahrscheinlichkeit, bei anderen kriminellen Gewalttaten oder im Straßenverkehr sein Leben zu verlieren“, wesentlich höher sei, als die, „von einem Terroristen getötet zu werden“.

Trotz des wohl vernachlässigbaren Risikos, Opfer islamischer Gewalt zu werden, bietet Kaddor ein paar Problemlösungsvorschläge an. Jedenfalls sollen die üblichen sozialpädagogischen Heilsversprechen, mit Steuergeldern die Gesellschaft zu retten, das darstellen: mehr „interkulturelle Ausbildung“ der Lehrkräfte, mehr Beratungsstellen für Familien, deren Kinder in den Dschihad gezogen sind, vor allem aber mehr Islamunterricht an staatlichen Schulen, der das Nachdenken über Religion anregen und zur Toleranz erziehen solle.

Das heißt vor allem, ein Islamverständnis zu vermitteln, wie es die Gründerin des Liberal-Islamischen Bundes vertritt. Immerhin wiederholt die studierte Islamwissenschaftlerin nicht das ewige Mantra der Islamfunktionäre, Islam heiße Frieden. Stattdessen heißt es bei ihr: „Der Islam hat ein großes Friedenspotential“ – mit anderen Worten, der Islam kann auch anders. Sie gesteht zu, daß es problematische Stellen des Korans gebe, die aber im historischen Kontext zu lesen seien.

Nach Kaddor vertreten Salafisten eine mißverstandene Lehre des Koran. „Sie suchen sich nur das heraus, was in ihre Ideologie paßt, was ihnen nützlich erscheint“, schreibt sie. Inwiefern das aber nicht mindestens ebensogut für ihre eigene Lesart gilt, kann sie nicht deutlich machen. Immerhin werde im starken konventionellen Islam, der auf Gemeinschaftsbildung ausgerichtet ist, jedes eigenständige Denken sofort im Keim erstickt, schreibt sie selbst.

Das aber steht als Ideologie dem Salafismus deutlich näher als die Forderung Kaddors nach mehr sozialstaatlicher Einzelfallbetreuung. Die „jungen Menschen“, die „Rückkehrer“, sollen von fachkompetenten Betreuern umsorgt werden, fordert Kaddor. Am Sinn dieser Maßnahmen darf gezweifelt werden. Immerhin gerieten die Recherchen zu ihrem Buch für Kaddor zu einer Zeitreise. Dinslaken-Lohberg ist nicht nur eine salafistische Hochburg, sondern auch der Ort, an der ihre Lehrerlaufbahn begann.

Fünf ihrer ehemaligen Schüler seien als islamische Gotteskämpfer in den Krieg gereist, bekannte Kaddor. Vier davon seien desillusioniert zurückgekehrt. Insgesamt habe sie bisher rund tausend Schüler unterrichtet, schätzt Kaddor. „Mäßigende Stimmen“ mögen zwar darauf hinweisen, daß ein Promille recht wenig sei. Dennoch dürften auch diese nicht zu den Opfern dieses einen „jungen Menschen“ gehören wollen. Für Kaddor bleibt das Problem zu erklären, warum ihre Religion, in der angeblich die Barmherzigkeit im Zentrum stehe, derartige Grausamkeiten rechtfertige.

Lamya Kaddor: Zum Töten bereit. Warum deutsche Jugendliche in den Dschihad ziehen. Piper Verlag, München 2015, broschiert, 252 Seiten, 14,99 Euro

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