© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/15 / 20. März 2015

Frieden ist, wenn wir zahlen
Griechenlands Reparationsforderungen machen deutlich, worum es bei EU und Euro in Wahrheit geht
Michael Paulwitz

Weit ist es gekommen mit dem europäischen „Friedensprojekt“: Rüde Verbalattacken, harsche Vorwürfe und vulgäre Gesten prägen den Umgangston, seit Griechenlands neugewählte sozialistische Regierung aus dem Dauerbankrott ihres Landes einen Rechtsanspruch auf Dauer-alimentierung durch die anderen abzuleiten versucht. Die akute Zuspitzung der chronischen Griechenlandkrise hat das Zeug, zum Katalysator für den Zerfall des Elitenprojekts Euro zu werden. Die Beschwörung der Gespenster der Vergangenheit durch die pünktlich wieder auf den Tisch gebrachte Forderung nach „Reparationen“ in maßloser Höhe für aus dem Zweiten Weltkrieg geltend gemachtes Unrecht bringt dabei die verkorkste Grundlage der EU als Transfer- und Umverteilungsgesellschaft unerbittlich ans grelle Tageslicht.

Der Tabubruch des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras und seines Finanzministers Yanis Varoufakis besteht nicht so sehr in dem Versuch, Deutschland wegen seiner nationalsozialistischen Vergangenheit finanziell unter Druck zu setzen. Das haben auch andere schon erfolgreich praktiziert; ein kurzes Knallen mit der Nazi-Peitsche hilft ungemein, wenn die deutsche Brieftasche mal nicht so willig gezückt wird. So dreist und rüpelhaft wie das Athener Duo hat freilich bislang selten eine Regierung versucht, aus momentaner eigener Finanznot die Leiden der Großväter und Urgroßväter zu Kriegszeiten zu Geld zu machen und dabei die Zahlen auch noch so hinzufrisieren, daß das Loch in der Tasche genau gefüllt und sogar noch ein kleines Plus zum Verfrühstücken bleibt.

Nun ist es zweifellos so, daß sich in vielen dieser Länder heute wohl kaum noch jemand – außer den Betroffenen oder historisch Interessierten – mit deutscher Kriegs- und NS-Schuld befassen würde, wenn es dafür in Deutschland nicht etwas zu holen gäbe, politisch oder finanziell. Tsipras und Varoufakis haben wie vorlaute Lausbuben frech und direkt vor allen Leuten ausgesprochen, was von Anfang an eine heimliche Basis des Euro-Experiments war. „Maastricht, das ist der Versailler Vertrag ohne Krieg“, leitartikelte der Pariser Figaro schon 1992, als die Gemeinschaftswährung gerade vereinbart worden war. Thilo Sarrazin legte vor wenigen Jahren nach: Triebfeder der deutschen Euro-Politik sei der „Reflex, wonach die Buße für Holocaust und Weltkrieg erst endgültig getan ist, wenn wir alle unsere Belange, auch unser Geld, in europäische Hände gelegt haben“. Europa braucht den Euro nicht, wohl aber all diejenigen, die über ihn in anderer Leute Taschen langen.

Der Buß-Reflex greift immer noch – auf jede mit deutscher Schuld begründete Forderung melden sich zuverlässig die üblichen Verdächtigen, die ihre Berechtigung attestieren. Auch die neueste griechische Rechnung hat in den Spitzen der Gesinnungsgenossen von der Linkspartei, bei SPD und Grünen willige Kollaborateure gefunden, die auf mindestens teilweise Erfüllung der Forderungen dringen. Und während Sarrazins kühle Analyse des politischen Kerns des Euro-Wahns noch ein empörtes Aufheulen quer durch die politische Klasse provozierte, schreibt dieser Tage ein Völkerrechtsprofessor im Spiegel ganz schnörkellos, die griechischen Reparationsansprüche seien schon deshalb „wirtschaftlich, politisch und moralisch“ gegenstandslos, weil sie mit den seit dem EU-Beitritt 1981 erhaltenen enormen Transferleistungen locker abgegolten seien. Ja, es sei „unausgesprochen“ geradezu die „Geschäftsgrundlage“ gewesen, Deutschland nicht ein zweites Mal, wie in Versailles, mit direkten Reparationen auf unabsehbare Zeit die Luft abzudrücken, sondern die Reparationsfrage im Londoner Schuldenabkommen von 1953 zurückzustellen, damit Deutschland prosperieren – und gemolken werden – könne.

Sieben Jahrzehnte nach Kriegsende stellt sich allerdings die Frage, wie lange diese „kluge und moderne Form, die Reparationsfrage zu lösen“, wie der besagte Völkerrechtler das ganz unironisch nennt, noch Grundlage der europäischen Nachkriegsordnung sein kann. Die Konstruktion, die man darauf errichtet hat, stößt längst an ihre Grenzen, und das keineswegs nur, was die deutsche Leistungsfähigkeit angeht.

Die Euro-Zauberlehrlinge haben aus einer ineffektiven europäischen Umverteilungsmaschine, die lange nach dem Prinzip funktionierte: Wenn Deutschland zahlt, ist der europäische Friede wieder gerettet, eine Turbo-Spekulationsblase gemacht, bei der alle viel verlieren können und werden.

Griechenlands Regierung nutzt bis über die Schmerzgrenze die starke Position des großen Schuldners, der die Gläubiger in der Hand hat. Daß Berlin sich doppelt erpreßbar gemacht hat – durch das Mantra der Verantwortung für die düstere Vergangenheit und durch die törichte Festlegung auf die vermeintliche „Alternativlosigkeit“ der Euro-„Rettung“ – begünstigt dieses Spiel. Tatsächlich betreiben Tsipras und Varoufakis eine Politik auch gegen die Interessen des eigenen Volkes, das dauerhaft an den europäischen Tropf gehängt wird und trotzdem leidet.

Die „Solidarität“, in deren Namen ein ums andere Mal Kreditverlängerungen und „Hilfspakete“ für Griechenland gegen faule Zusagen eingefordert werden, gerät so Zug um Zug zur Farce. Hinter der durchschaubaren Fassade verlangen unterschiedliche nationale Mentalitäten und Interessen ihr Recht, die keine abstrakte übernationale Idee auf Dauer außer Kraft setzen kann: keine Europa-Armee, für die sich außer der deutschen Verteidigungsministerin niemand begeistern will, keine gemeinsame Außen-, Asyl- oder Grenzsicherungspolitik, bei der am Ende doch wieder jeder sich selbst der Nächste ist. Auch Deutschland wird in dieser veränderten Realität ankommen müssen. Alte Illusionen und Erpreßbarkeiten abzulegen wäre ein guter Schritt dorthin – Europa zuliebe.

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