© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/15 / 20. März 2015

„Europa braucht eine Wende“
Als tschechischer Staatspräsident galt Václav Klaus lange als Enfant terrible in der EU / JF-Autor Petr Bystron hat das ehemalige Staatsoberhaupt in München zum Interview getroffen
Petr Bystron

Herr Professor Klaus, hat Pegida Ihnen im Ausland angst gemacht?

Klaus: Ich kann nur für mich sprechen: Ich hatte mir im Fernsehen die Anti-Pegida-Veranstaltungen angesehen. Ganz ehrlich: Diese Leute haben mir angst gemacht – zumindest mehr als die von Pegida.

Warum?

Klaus: Ich kann mir nicht vorstellen, daß es sich um spontane Demonstrationen gehandelt hat – das sehe ich doch auf den ersten Blick! Für mich sah das aus, wie von oben organisiert. Es fühlte sich an wie die Kundgebungen der Einheitsfront in kommunistischen Zeiten. Da bin ich sehr empfindlich.

Und was denken Sie über Pegida?

Klaus: Ich bin nicht bis ins letzte Detail damit vertraut, wer bei Pegida was, wann gesagt hat. Ich meine aber, daß die Demonstrationen eine spontane Reaktion auf die Irrationalität des Multikulturalismus waren. Und wohl auch auf die ständige Verteidigung der massiven Immigration durch die etablierte Politik.

In Deutschland wurde vor Pegida als „Nazis in Nadelstreifen“ gewarnt. Das muß Sie als Tscheche doch beunruhigt haben.

Klaus: Unter den 25.000 Demonstranten gab es sicher auch einige, deren Gedanken und Äußerungen für mich inakzeptabel sind. Die Mehrheit aber schien mir völlig normal zu sein und ein gesundes Verhältnis zu ihrem Vaterland zu haben. In dieser Hinsicht hatte die Pegida-Bewegung wohl einen positiven Kern.

Studien der TU Dresden sowie der Uni Berlin haben gezeigt, wichtigstes Motiv der Demonstranten war Unzufriedenheit mit den politischen Verhältnissen.

Klaus: Das klingt für mich ganz logisch und ist der gesunde Kern, von dem ich sprach. Endlich war es soweit, daß die Menschen ihren Unmut formuliert, ja demonstriert haben. Endlich! Warum hat das so lange gedauert?

Was vermuten Sie?

Klaus: In Deutschland fehlt schon lange eine rechtskonservative, bürgerliche politische Kraft, die die Versäumnisse der Etablierten aufgreift. Daher wohl ging dieser Protest nun auf die Straße.

Aber gibt es diese Kraft nicht mit der AfD?

Klaus: Prinzipiell ja. Doch müßte sie endlich aufhören, sich mit sich selbst zu beschäftigen und stattdessen den politischen Gegner angreifen.

Wie lautet Ihre Prognose für die AfD?

Klaus: Es gibt in Deutschland neben den zwei linken Parteien – Grüne und Linke – nur noch sozialdemokratische Parteien. Die SPD, die sich zu ihren sozialistischen Wurzeln offen bekennt, und die CDU/CSU, die sich christlich tarnt. Wäre ich ein Deutscher, würde ich AfD wählen! Zumal ich Professor Lucke aus persönlichen Begegnungen kenne. Das ist ein kluger Mann.

Die AfD fordert das Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro. Wie sollte die EU Ihrer Meinung nach das Problem lösen?

Klaus: Wir alle wissen: Die Griechen gehörten von Anfang an nicht in den Euro. Es ist eine Tragödie, sie weiterhin dazu zu zwingen, nur um sich diesen Fehler nicht eingestehen zu müssen. Die Folgen dieser falschen, rein politischen Entscheidung sind verheerend. Die Währungsunion ist das sichtbarste Problem der EU. Aber nicht das schlimmste.

Sondern?

Klaus: Ich sehe Europa auf einem sehr gefährlichen Weg. Unsere Freiheit und unser Wohlstand sind ernsthaft bedroht. Und zwar durch die langfristige Krise des europäischen Wirtschafts- und Sozialsystems und des Modells der europäischen Integration. Europa braucht einen radikalen und fundamentalen Systemwechsel. Europa braucht eine Änderung des herrschenden Paradigmas unseres Denkens und unseres Benehmens. Europa braucht eine Wende!

Sie meinen, das Modell EU hat ausgedient?

Klaus: Wenn Sie in einer Sackgasse sind, welcher Weg führt Sie dann heraus?

Klar.

Klaus: Deshalb braucht Europa eine radikale Wende! Denn unsere Politiker marschieren schnurstracks in eine Sackgasse! Aus Prager Perspektive würde ich sagen: Europa braucht, wie wir Tschechen 1989, eine „Samtene Revolution“.

Sie glauben nicht, daß die Etablierten die Krise meistern werden?

Klaus: Die heutigen Politiker haben keinen Mut, keine Ideen – sie sind nur auf ihre privaten Interessen bedacht. Ich habe den Eindruck, daß sie vor allem versuchen, sich in ihren Ämtern möglichst lange zu halten.

Folglich ist der Zustand der EU das Ergebnis eines Versagens der Eliten Europas?

Klaus: Die ökonomische Stagnation Europas, wie auch die Identitätskrise der EU sind hausgemacht. Sie sind kein Zufall, kein Schicksalsschlag, nichts, was vom Himmel gefallen wäre, sondern „man-made“, also selbstgemacht. Ein Arzt würde sagen, es sind vom Patienten sich selbst zugefügte Leiden.

Jede Krankheit hat eine Ursache.

Klaus: Die wirtschaftliche Stagnation ist Folge des heutigen europäischen Wirtschafts- und Sozialsystems auf der einen Seite und der immer mehr und mehr zentralistischen und undemokratischen EU-Institutionen auf der anderen. Diese beiden Elemente schaffen ein unüberwindliches Hindernis für jede positive Entwicklung in der Zukunft, besonders wenn sie wie jetzt Hand in Hand gehen. Deshalb kritisiere ich nicht die Einzelheiten des europäischen Integrationsprozesses, sondern ich kritisiere ihn als Ganzes!

Was schlagen Sie vor? Zurück zu den Nationalstaaten?

Klaus: Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin für Integration. Das ist aber etwas völlig anderes als Unifikation. Wir müssen zurück zu Maastricht. Mir schwebt eine Gemeinschaft souveräner europäischer Staaten vor.

Die Befürworter weiterer Unifikation wenden ein, dies wird das Konfliktpotential zwischen den Nationen steigern.

Klaus: Unsinn, das Gegenteil ist der Fall. Tatsächlich hat die Beschleunigung der Unifikation neue Konflikte hervorgebracht. Die Situation in Europa ist viel schlimmer als vor zwanzig Jahren. Schauen Sie sich doch die Demonstrationen in den Süd-Ländern der EU an – da ist das wahre Konfliktpotential.

Beim Besuch des deutschen Bundeskanzlers in Griechenland kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dieser von sieben Polizisten beschützt – bei Angela Merkel waren es 7.000.

Klaus: Nun, da haben Sie Ihr Friedensprojekt.

Um Frieden ringt die EU derzeit in der Ukraine. Als Verursacher der Krise dort gilt Rußlands Präsident Putin, der bereits mit Hitler zur Zeit vor der Zerschlagung der Tschechoslowakei im Jahr 1938 verglichen wurde. Als tschechischer Staatspräsident haben Sie Putin persönlich kennengelernt. Ist dieser Vergleich gerechtfertigt?

Klaus: Putin ist kein Freund von mir. Trotz zahlreicher Verhandlungen zwischen uns beiden haben wir nie eine persönliche Nähe aufgebaut. Medwedew hingegen war ein viel umgänglicherer Partner. Trotzdem bin ich gegen die Dämonisierung Putins. Er ist ein pragmatischer Politiker, mit dem man sachlich verhandeln kann. Vergleiche mit Hitler sind absolut nicht angebracht.

Sie sehen Putin nicht als Verursacher des Konflikts?

Klaus: Nein. Putin handelte im Zugzwang.

Inwiefern?

Klaus: Ich sehe den Maidan nicht als eine authentische Rebellion der Ukrainer, bei der sie um ihre Freiheit kämpften. Ich hinterfrage die Rolle der NGOs – der Nichtregierungsorganisationen – die aus dem Ausland finanziert werden. Für mich war es eine importierte Revolution aus dem Westen.

Sind Sanktionen jetzt die Lösung?

Klaus: Nein. Man wird Rußland damit nicht in die Knie zwingen können.

Sind die Sanktionen wenigstens moralisch gerechtfertigt?

Klaus: Die Sanktionen sind Ergebnis der einseitigen Interpretation des Konfliktes. Wenn wir diese Sicht nicht teilen, dann müssen wir gegen die Sanktionen sein. Da ich nicht der Meinung bin, daß Rußland den Konflikt in der Ukraine verursacht hat, kann ich die Sanktionen definitiv nicht befürworten.

Wie kann der Konflikt gelöst werden?

Klaus: Man muß mit Putin verhandeln. Es gibt keinen anderen Weg. Alles andere führt nur zu weiterem Leid. Ich spreche aus eigener Erfahrung: Als sich Anfang der neunziger Jahre die Slowaken entschieden, sich aus der Tschechoslowakei zu verabschieden, habe ich mit ihnen damals auch monatelang verhandelt. Die Alternative hatten wir täglich in den Nachrichten vor Augen: Zur gleichen Zeit starben Hunderttausende Menschen im ehemaligen Jugoslawien in einem furchtbaren Bürgerkrieg.

Als einer der wenigen Politiker weltweit haben Sie Erfahrung mit einer erfolgreichen Teilung eines Staates. Könnte die Trennung der Tschechoslowakei als Modell dienen für die Teilung der Ukraine als mögliche Lösung des Problems?

Klaus: Das ist Ironie des Schicksals. Obwohl ich nie die Teilung der Tschechoslowakei wollte, wurde ich in den letzten 25 Jahren von wohl allen Separatisten dieser Welt nach dem Erfolgsrezept dieser Teilung gefragt. Dabei hatte ich damals nur verstanden, daß es nicht anders gehen wird und bei den Verhandlungen die Gegenseite fair und mit Respekt behandelt. Was die Ukraine betrifft, bin ich sehr vorsichtig, Empfehlungen zur Teilung abzugeben. Meine Erfahrung sagt mir aber, daß nach so viel Blutvergießen ein normales Zusammenleben in der Ukraine nur schwer vorstellbar sein wird.

Sie kennen sowohl Putin wie auch US-Präsident Obama persönlich. Wie endet dieser Konflikt?

Klaus: Ich habe Angst. Die heutigen ukrainischen Politiker erwarten eine externe Intervention als Lösung dieses Problems. Das wird hoffentlich nicht kommen. Man muß weiterhin verhandeln, verhandeln, verhandeln!

In vielen Ländern der EU sind die Sanktionen gegen Rußland umstritten. Warum setzen sich die Politiker dieser Länder auf der EU-Bühne nicht für die Änderung des außenpolitischen Kurses gegenüber Rußland ein?

Klaus: Sie haben einfach nicht genug Mut, nein zur offiziell vorgegebenen Linie zu sagen. Das ist wie vor zehn Jahren mit der Debatte über die globale Erwärmung. Ich hatte damals mehrere Reden gegen die Irrationalität dieser Doktrin in der ganzen Welt gehalten. Anschließend haben mir viele Politiker unter vier Augen gesagt: „Sie sprechen mir aus dem Herzen. Das sehe ich genauso.“ Als ich sie fragte: „Warum sagen Sie das nicht laut?“ lautete die Antwort: „Das ist in unserem Land nicht möglich, das kann ich mir nicht leisten.“ Das war damals bei diesem Thema so, und genauso ist das heute mit der Ukraine auch.

Sind die Politiker zu feige?

Klaus: Ich kritisiere nicht die einzelnen Politiker. Das Problem ist das System als Ganzes. Halten Sie sich das bitte einmal vor Augen: Wie stark umschlingen uns bereits die Tentakel der Political Correctness, wenn sich selbst die mächtigen Spitzenpolitiker nicht mehr trauen, offen ihre Meinung zu sagen?

 

Prof. Dr. Václav Klaus, war von 2003 bis 2013 Staatspräsident, zuvor ab 1992 Ministerpräsident und ab 1998 Präsident des Parlaments der Tschechischen Republik. Schon in der ersten nichtkommunistischen Regierung ab 1990 bekleidete er das Amt des Finanzministers. Von 1991 bis 2002 führte Klaus zudem die zeitweilige Regierungspartei, die bürgerliche, liberal-konservative ODS (Demokratische Bürgerpartei), lange Zeit die bestimmende politische Kraft in Tschechien. Geboren 1941 in Prag, sieht sich der Wirtschaftswissenschaftler selbst als klassischen Liberalen und zählt neben Milton Friedman und Friedrich Hayek auch Margaret Thatcher und Ronald Reagen zu seinen Vorbildern. Klaus gilt als Kritiker der EU und der These vom menschengemachten Klimawandel. Er hat etliche Bücher veröffentlicht, darunter: „Blauer Planet in grünen Fesseln“ (2007) und „Europa?“ (2011), die in deutscher Übersetzung vorliegen.

Foto: Petr Bystron im Gespräch mit Václav Klaus (r.) im Münchner Hotel Alpen: „Viele Politiker haben mir unter vier Augen gestanden: ‘Das sehe ich genauso ... aber in meinem Land kann ich das nicht öffentlich sagen‘.“

 

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