© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/15 / 20. März 2015

„Er hatte keinen Rückhalt“
Reportage: Der Ortsbürgermeister von Tröglitz, Markus Nierth, wurde durch seinen Rücktritt schlagartig bekannt – doch wurde er wirklich bedroht?
Ronald Gläser

Am Montag setzten die Medien noch mal einen drauf: Markus Nierth, der frühere Bürgermeister von Tröglitz in Sachsen-Anhalt unweit von Leipzig, sei schriftlich und mündlich bedroht worden. Jetzt ermittelt die Kriminalpolizei gegen die unbekannten Verfasser. Außerdem steht seine Familie unter Polizeischutz. Damit hat es Nierth noch einmal auf die Titelseite der Zeitungen geschafft, nachdem eine ganze Woche lang internationale Medien seinen Rücktritt aus Angst vor Rechtsradikalen thematisiert haben. Dabei ist auch bei den jüngsten Drohungen nicht eindeutig klar, wer überhaupt dahintersteckt. Laut dpa „könnten sie aus dem rechten Spektrum stammen“. Könnten.

Die Tröglitzer verstehen die Aufregung um ihren zurückgetretenen Bürgermeister nicht. Auf der vorläufig letzten Demonstration gegen Asylmißbrauch am Sonntag verlor kaum einer ein böses Wort über Nierth. Von handfesten Anfeindungen ist in der 2.700-Einwohner-Gemeinde wenig zu spüren. Die Teilnehmer artikulieren allgemeine Unzufriedenheit, ähnlich wie bei Pegida. „Wir demonstrieren hier nicht gegen die wirklich Verfolgten, sondern nur gegen die Wirtschaftsflüchtlinge, die hier herumlungern“, beteuert Christine. Sie habe Kinder aus Bosnien beim Klauen gesehen, berichtet sie. Auch ihr Begleiter Mike hat eher wirtschaftliche als fremdenfeindliche Motive: „Ich bin seit 23 Jahren selbständig und zahle ohne Ende Steuern. Und jetzt sollen wir die auch noch mit ernähren.“ Viele sehen es so wie Tobias R., der zu Nierths Rücktrittsgründen sagt: „Er hatte keinen Rückhalt mehr. Aber man kann ihm keinen Vorwurf machen, er ist ja nur das letzte Glied in der Kette.“

In der Tat. Markus Nierth, der von der CDU aufgestellte, parteilose Tröglitzer Bürgermeister, mußte wie sehr viele Lokalpolitiker dieser Tage die Auswirkungen der großen Politik auf seine Kommune ausbaden. Er bekam Anweisung, 50 Asylanten in seiner Gemeinde unterzubringen. Nierth war selbst skeptisch. Im Dezember schrieb er im Blickpunkt, der Gemeindezeitung: „Keiner will sie. Ich eigentlich auch nicht. Aber sie sind einfach da.“ An „heile, heile Multikulti“ glaubten nur jene, deren Wohnhäuser weit weg von Asylantenheimen stehen.

Klare Worte, die nicht zu dem Bild passen, das die Medien seit seinem Rücktritt von Markus Nierth zeichnen. Angeblich soll er im Dezember sogar von der Antifa einen Drohanruf bekommen haben. Gleichzeitig begannen einige andere Tröglitzer mit einer allwöchentlichen Demonstration nach dem Vorbild von Pegida gegen die Einquartierung von Asylbewerbern. Als die Demonstration vor seinem Haus enden sollte, trat Nierth von seinem Amt zurück, weil er sich bedroht fühlte. Er ärgerte sich darüber, daß das Landratsamt die Kundgebung nicht verbieten wollte. Von Morddrohungen sprach er nicht. Das taten stets nur andere. Zum Beispiel Markus Lanz. In seiner Talksendung nahm er Nierth in die Mangel: „Wann hat man Sie das erste Mal persönlich an Leib und Leben bedroht?“ Nierth: „Davon habe ich nie gesprochen.“ Lanz: „Aber ich spreche davon. Ich finde, wenn wir über Morddrohungen sprechen, dann kann man über Bedrohungen sprechen.“ Nierth: „Ich persönlich habe sie nicht erhalten, ich glaube auch nicht an den Wahrheitsgehalt der Morddrohungen.“

Die Organisatoren der Demo sind auch deswegen sauer: Sie fühlen sich als braunes Nest gebrandmarkt. Einer von ihnen ist Holger Hellmann. Der Lkw-Fahrer ist kein Ausländerfeind, wie er beteuert: „Es gibt kein Land in Europa, das ich noch nicht schon einmal durchquert habe.“ Jetzt steht Hellmann auf dem Friedensplatz in Tröglitz und bereitet die nächste Demonstration vor: Ein Helfer schenkt Kaffee aus. Es gibt Zuckerschnecken und anderen Kuchen. Immer mehr Bürger strömen zusammen. Trotz der negativen Schlagzeilen wollen sie zum letzten Mal demonstrieren. „Ich mache nichts Verbotenes“, räuspert sich auch Hellmann.

Der Demonstrationszug verläuft friedlich. 170 Teilnehmer, so viele wie nie zuvor, sind gekommen. Auf Transparenten sind harmlose Forderungen wie „Vielfalt der Kulturen erhalten“ oder „Mehr Demokratie“ zu lesen. Es sind normale Bürger, viele mit ihren Kindern, die hier demonstrieren. Nicht einer ist mit einem Reisebus angekarrt worden. Im Gegenteil: Abgesehen von Leuten aus der Umgebung von Tröglitz sind Auswärtige nicht auszumachen. Nierth hatte bei Markus Lanz angedeutet, es seien Aktivisten extra mit Bussen herbeigeschafft worden. Die Organisatoren sagen, das sei nie der Fall gewesen.Trotzdem kommentierten die Leitmedien den Fall einseitig und ohne die Fakten zu prüfen. Mehrere linke Politiker klagten über die angebliche Bedrohung durch einen „braunen Mob“ (Cem Özdemir). Justizminister Heiko Maas (SPD) bezeichnete den Rücktritt als „Tragödie für unsere Demokratie“.

Keine Busse. Keine ernsthaften Bedrohungen. Einzig mit einer Aussage haben Nierth und die Leitmedien recht: Der Protest in Tröglitz ist von der NPD gekapert worden. Zwar ist Organisator Hellmann parteilos wie die allermeisten Teilnehmer der Demonstration. Doch die anderen Initiatoren und die Redner auf der Abschlußkundgebung sind Parteiaktivisten rund um den NPD-Kreistagsabgeordneten Steffen Thiel. Sie kanalisieren den Unmut der Bürger geschickt in ihre Richtung. Auf der Abschlußkundgebung wurden Ressentiments gegen Einwanderer („begattungsfreudige Afrikaner“) verbreitet. Deutschland wird von den Rednern als „besetztes Land“ bezeichnet. Mehrfach wurde ein Redner vom Veranstalter unterbrochen, weil er Minderheiten verunglimpft hatte.

Foto: Bürgerprotest am Sonntag in Tröglitz: Zur jüngsten Kundgebung kamen mehr Einwohner denn je

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