© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/15 / 20. März 2015

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Bloß keine Reformen
Paul Rosen

Groß prangt an der Westseite des Reichstags „Dem deutschen Volke“. Die Kenntnisse im Volk über sein Parlament sind jedoch minimal. Gerade 54 Prozent wußten in einer Meinungsumfrage, daß Linke und Grüne nicht an der Regierung sind, sondern die Opposition bilden.

Wenigstens genauso schlimm ist, daß aus dem Reichstagsgebäude nur noch wenig nach draußen dringt. Nur ein Viertel der Bundesbürger kann sich an eine Debatte des Bundestages in den vergangenen Monaten erinnern. Das hat einerseits mit dem Qualitätsverlust des politischen Personals und andererseits mit dem schnell fortschreitenden Kompetenzverlust des Parlaments zu tun. In wichtigen Fällen wie den Finanzgesetzen hat der Bundestag gerade noch das Recht, Richtlinien der EU eins zu eins umzusetzen. Veränderungen dürfen nicht vorgenommen werden. So rühmen dann in den Debatten Finanzpolitiker wie Staatssekretär Michael Meister (CDU) oder der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus (CDU) die gelungene Umsetzung von Richtlinien in so hochnotpeinlicher Weise, daß selbst das staatstragend berichtende Fernsehen darüber nichts mehr bringt.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sieht dem Langweiler-Treiben im Hohen Haus, in das allein noch die Linken Gregor Gysi und Klaus Ernst mit ihrer geschliffenen Rhetorik etwas Abwechslung bringen, sorgenvoll zu. Er ließ etwa vor Abstimmungen über die angeblich alternativlose Euro-Rettung einige Einzelstimmen wie Klaus-Peter Willsch (CDU) zu Wort kommen, damit man wenigstens eine Ahnung bekommen konnte, daß das ganze Haus nicht ständig einer Meinung ist. Wäre es hingegen nach den Fraktionsführungen gegangen, wären nur Redner zu Wort gekommen, die die Euro-Rettung als alternativlos gepriesen hätten.

Lammert versuchte noch mehr. Er wollte die Fragestunde, die immer mittwochs in Sitzungswochen stattfindet, reformieren. Dazu schlug der Präsident geradezu Unerhörtes vor: Abgeordnete sollten das Recht bekommen, der Regierung Fragen zu beliebigen Themen und nicht nur zur Tagesordnung des Kabinetts stellen zu dürfen. Was in jeder Talkshow eine Selbstverständlichkeit ist, geht im Deutschen Bundestag natürlich nicht. Wo käme man schließlich hin, wenn ein Minister im Parlament anwesend sein müßte, um Fragen zu beantworten? Längst ist im Bundestag das demokratische und rechtsstaatliche Basiswissen verschüttet worden, das da lautet, daß die Abgeordneten im Auftrag des Volkes die Regierung zu kontrollieren haben. Den CSU-Landesgruppengeschäftsführer Max Straubinger plagte allen Ernstes die Sorge, daß Abgeordnete sich dann mit Fragen „auf einen bestimmten Minister“ einschießen könnten.

Natürlich wurde der Vorschlag des Präsidenten im Ältestenrat des Parlaments abgelehnt. Es bleibt alles so langweilig wie es ist. Die Mauer der Alternativlosigkeit von Euro-Rettung über Energiewende und Mindestlohn bis zur Frauenquote kann nicht einmal mit Fragen durchbrochen werden.

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