© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/15 / 20. März 2015

Wenn Künstler etwas nicht können
... machen sie es trotzdem: Dirk von Lowtzow, Sänger der Rockband Tocotronic, besorgte die Musik für eine Oper
Robert Backhaus

Die Ignoranz, man kann auch sagen: die unbelehrbare Dummheit, breitet sich nicht nur immer weiter aus, sie wird auch immer dreister, stellt sich regelrecht aus und feiert sich selbst. Neulich hat sie mit dem Sänger und Gitarristen Dirk von Lowtzow (43) von der Hamburger Rockband Tocotronic einen neuen Höhepunkt erreicht.

Schauplatz des Ereignisses, wie könnte es anders sein, die Berliner Volksbühne des Frank Castorf, Donnerstag voriger Woche. Uraufführung der Oper „Von einem, der auszog, weil er sich die Miete nicht mehr leisten konnte“. Es gibt irgendein sozialpolitiches Gebrabbel (Libretto von René Pollesch), die Musik aber kommt von Dirk von Lowtzow.

Die Kritik ist flau. Es habe sich, heißt es, eher um einen Sprechtext mit Musikbegleitung gehandelt. Aber dann die Pointe: Der Komponist gibt zwei Tage später der Süddeutschen Zeitung ein Interview. Ja, sagt er, die Sache sei nun mal so, wie sie sei. „Ich kann keine Noten lesen und schreiben. Ich kann nicht arrangieren, nicht orchestrieren. Und da fand ich es total interessant, mal etwas zu machen, was ich überhaupt nicht kann.“

Das Datum verdient wahrhaftig, in den Annalen der Psychologie festgehalten zu werden. Natürlich haben auch schon früher Künstler Sachen gemacht, die sie gar nicht machen konnten. Aber sie haben ihre Nichtzuständigkeit immer lauthals zu rechtfertigen versucht, schoben es auf die Zeitumstände, auf die harte Kindheit, die sie absolvieren mußten, auf die bösen Kapitalisten; immer gab es eine „Erklärung“.

Doch jetzt ist ein neues Stadium erreicht. Der Künstler verkündet, daß er eine Sache ausdrücklich deshalb gemacht hat, weil er nicht dazu fähig war. Einige Volksbühnen-Besucher wundern sich nun darüber, daß sie in Berlin eine Zeitlang trotzdem eine Art Musik gehört haben. Nur einige Kenner oder Leute, die auch das Kleingedruckte in Programmzetteln lesen, wissen: Arrangements und Orchestrierung stammen von dem australischen Komponisten Thomas Meadowcroft. Viel Spaß weiterhin bei den nächsten Vorstellungen in der Volksbühne.

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