© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/15 / 20. März 2015

Mehr gebellt als gebissen
„Werwolf“ als NS-Partisanenbewegung gegen die alliierten Besatzungsmächte: Das propagandistische Schreckbild entpuppte sich 1945 als eher unbedeutend
Karlheinz Weissmann

Am 31. März 1945 erschien der Völkische Beobachter mit der Schlagzeile „Das Los des Verräters“. Bezogen war das auf die Tötung des von der US-Armee in Aachen eingesetzten Oberbürgermeisters Franz Oppenhoff, an dem angeblich ein „Femeurteil“ durch den „Werwolf“ vollstreckt worden war. Der Text erweckte gezielt den Eindruck, als ob es sich um einen Akt der Volksjustiz gehandelt habe, Beweis dafür, daß die Deutschen in den bereits von alliierten Truppen besetzten Reichsteilen entschlossen seien, jeden Kollaborateur zu liquidieren und den Feind in einen endlosen Partisanenkrieg zu verwickeln.

Tatsächlich hatte der Tod Oppenhoffs eine abschreckende Wirkung auf alle, die nicht nur das Ende des Krieges herbeisehnten, sondern auch willens waren, mit amerikanischen, britischen, französischen oder sowjetischen Stellen zusammenzuarbeiten. Die sahen sich ihrerseits in der Sorge bestätigt, daß man in Deutschland auf zähen Widerstand fanatischer Nationalsozialisten, vor allem aus der jungen Generation, gefaßt sein müsse.

Im Herbst 1944 warnte Eisenhower als Oberbefehlshaber der alliierten Truppen in Europa noch einmal vor einem „langen und erbitterten Guerillakrieg“. Daß das eine groteske Fehleinschätzung der Lage war, wurde erst nach und nach erkennbar, was auch damit zusammenhing, daß der „Werwolf“ eine Propagandawirkung entfaltete, die selbst seine Erfinder nicht erwartet hatten. In Wirklichkeit steckte hinter der bedrohlichen Vorstellung von einer deutschen Guerilla nur wenig Substanz, und bezeichnenderweise haben neuere Untersuchungen zum Anschlag auf Oppenhoff gezeigt, daß der keineswegs dem Werwolf, sondern einer von Himmler beauftragten Kommandoeinheit zum Opfer fiel, die mit einer erbeuteten B-17 über den feindlichen Linien abgesetzt worden war, sich zu Fuß nach Aachen durchschlug und Oppenhoff in seinem eigenen Haus töten konnte. Der Gruppe gehörten zwar auch ein Hitlerjunge und eine ortskundige BDM-Führerin an, aber die Tat selbst wurde von einem SS-Mann und einem Soldaten der Luftwaffe ausgeführt.

Der Partisanenkrieg in der Sowjetunion als Vorbild

Mit der Organisation von Werwolf-Einheiten hatte Himmler schon im September 1944 den Obergruppenführer Hans-Adolf Prützmann beauftragt. Prützmann wurde zum „Generalinspekteur für Spezialabwehr“ ernannt und sollte als „Reichswerwolf“ für den Aufbau einer Partisanenbewegung in jenen Räumen sorgen, die über kurz oder lang dem Feind in die Hände fallen würden. Im Hintergrund stand dabei die Erfahrung mit dem „Bandenkrieg“ im besetzten Osteuropa, vor allem der Sowjetunion, der den deutschen Truppen schwer zu schaffen gemacht hatte.

Gewisse romantische Vorstellungen, die sich weniger aus der Erinnerung an die Volkserhebungen gegen Napoleon als aus dem literarischen Geschichtsbild in Hermann Löns‘ Roman „Der Wehrwolf“ speisten, beförderten die Idee. Das außerordentlich populäre Buch – es wurde bis Kriegsende in hohen Auflagen weitergedruckt – behandelte die Geschichte niedersächsischer Bauern, die sich während des Dreißigjährigen Krieges zusammenschlossen, um ihre Heimat auf eigene Faust gegen marodierende Söldner zu verteidigen. Trotz der anderen Schreibweise kann kein Zweifel bestehen, daß Löns’ „Wehrwolf“ das Vorbild für den Werwolf war; man übernahm bezeichnenderweise auch die bei Löns beschriebene „Wolfsangel“ als Symbol.

In einer Rundfunkrede vom 18. Oktober 1944 verwendete Himmler den Begriff „Werwolf“ zum ersten Mal öffentlich: „Jeder Häuserblock einer Stadt, jedes Gehöft, jedes Dorf wird von Männern, Knaben und Greisen, und wenn es sein muß, von Frauen und Mädchen, verteidigt. Und wie Werwölfe werden todesmutige Freiwillige dem Feinde seine Lebensfäden abschneiden.“

Diese Vorstellungen erwiesen sich aber schnell als unrealistisch. Das hatte nicht nur mit dem Tempo des alliierten Vormarschs zu tun und der schlechterdings fehlenden Bereitschaft zum „Volkskrieg auf breitester Basis“, sondern auch mit den sich zuspitzenden Kompetenzstreitigkeiten zwischen SS, Wehrmacht, Bormanns Parteikanzlei und Goebbels als Propagandaminister und „Generalbevollmächtiger für den totalen Kriegseinsatz“.

Unter den zunehmend chaotischen Bedingungen konkurrierten schon die etablierten „Waffenträger“ um jeden Mann, dann aber auch der „Volkssturm“ und diverse Einheiten, die als Freikorps agierten, oder als ad hoc aufgestellte Jagdverbände, Aufklärungs- oder Panzervernichtungstrupps; die Vorstellung, man werde erprobte Frontsoldaten für den Werwolf gewinnen oder könnte eine ganze Waffen-SS-Division in Vierergruppen aufspalten, erwies sich als absurd.

Bezeichnenderweise wurde die Wehrmacht erst im Januar 1945 offiziell über das Vorhandensein von „W-Einheiten“ in Kenntnis gesetzt, am 10. März versuchte dann Martin Bormann die Partei in die Rekrutierung einzuschalten und Kampfgruppen aus Funktionären zu bilden, während der „Werwolf-Sender“ seine Propagandatätigkeit nicht vor April aufnahm, weil Goebbels zu dem Zeitpunkt glaubte, Himmler das Heft noch aus der Hand nehmen und die Methoden der „Kampfzeit“ auf die Kriegführung übertragen zu können.

Nur wenige Aktionen des „Werwolf“ nachgewiesen

Fest steht jedenfalls, daß es Prützmann nie gelang, die eigentlich vorgesehenen Strukturen für den Aufbau des Werwolf zu schaffen. Die Schulung von HJ-Mitgliedern in Kleinkampftaktik und Sabotage wurde zwar bis in die letzten Kriegswochen durchgeführt, der „Akademie für Jugendführung“ in Braunschweig kam dabei eine Schlüsselstellung zu, aber in den wenigsten Fällen gelang die Bildung eines „Rudels“, vielfach gab es keine Befehle mehr, weil die Verantwortlichen nicht zu erreichen oder geflohen waren. Es erklärt diese unübersichtliche Lage auch, warum es sich bei der Tötung Oppenhoffs um einen Sonderfall handelte und weitere dem Werwolf zugeschriebene Taten – insbesondere die „Penzberger Mordnacht“, bei der sechzehn Zivilisten in einem bayerischen Ort wegen „Volksverrats“ liquidiert wurden – von irregulären Einheiten ausgeführt wurden, die sich allerdings des Schreckens bedienten, der mit dem Namen „Werwolf“ verbunden war.

Volker Koop, der die letzte umfassende Darstellung zum Thema vorgelegt hat, kommt jedenfalls zu dem Ergebnis, daß die Zahl der Anschläge, die auf das Konto von Werwölfen ging, erstaunlich klein sei. Im wesentlichen handelte es sich um Angriffe auf sowjetische Truppenverbände im Osten, was nicht nur auf deren brutales Vorgehen zurückzuführen war, sondern auch darauf, daß in den deutschen Siedlungsgebieten – vor allem im Sudetenland – in der Phase des Zusammenbruchs die alten Volkstumskämpfe wieder aufbrachen. Hier und im Gebiet des ehemaligen Protektorats standen etwa 1.150 Werwölfe zur Verfügung, aber inwieweit sie aktiv wurden, ist nicht mehr zu klären. Ansonsten kam es nur zu Einzeltaten, auch zu Morden an als „unzuverlässig“ Eingestuften, durch besonders fanatisierte Hitlerjungen oder zu einem Vorgehen, das sich nur damit erklären läßt, daß das Ganze als eine Art Abenteuer betrachtet wurde.

Das galt etwa für die in Schleswig-Holstein noch im April 1945 mobilisierten Werwölfe, denen es immerhin gelang, Flugzeuge und V1-Teile zu sprengen. Bezeichnend ist aber, daß man nach einer gewissen Zeit ohne übergeordnete Führung – die Wehrmacht hatte schon kapituliert, die Regierung Dönitz den Abbruch der Werwolf-Angriffe befohlen – und angesichts der schlechten Versorgungsmöglichkeiten das sinnlose Unterfangen aufgab, nach Hause und auf die Schulbank zurückkehrte. Die zuständige britische Besatzungsmacht ließ die Jugendlichen praktisch unbehelligt.

Ganz anders agierten die sowjetischen Besatzer, die in ihrer Zone grundsätzlich jeden Heranwachsenden als verdächtig betrachteten, eine absurde Vorstellung von Strafmündigkeit (ab dem 12. Lebensjahr) anwendeten und Gefangenen- und Verurteiltenquoten zu erfüllen suchten, gleichgültig, ob die Betreffenden sich etwas hatten zuschulden kommen lassen oder nicht. Soweit ersichtlich, starben zwischen Mai 1945 und Februar 1950 etwa 3.400 Kinder und Jugendliche in den Lagern und Zuchthäusern der Sowjetischen Besatzungszone, die als Werwölfe festgenommen worden waren.

Foto: US-Truppen stellen vermeintliche „Werwolf“-MItglieder im Alter zwischen 8 und 14 Jahren, Aachen 1945; Hinrichtung des Hitlerjungen Heinz Petry wegen „Werwolf“-Tätigkeit bei Braunschweig am 1. Juni 1945; Überlebender der Penzberger Mordnacht weist 1956 auf den Ast, an dem er gehenkt werden sollte (v.l.n.r.): Der „Werwolf“ entfaltete eine Propagandawirkung, die selbst seine Erfinder nicht erwartet hatten

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