© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/15 / 20. März 2015

Mehr Bismarck für die USA
Realpolitik statt politischer Messianismus: Hal Brands vieldiskutierte Kritik der US-Weltmachtpolitik
Klaus Hornung

In den Vereinigten Staaten ist die Debatte über das Scheitern der beiden Militärinterventionen im Irak und in Afghanistan keineswegs zu Ende. Sie wirkt fort in der Frage, wie es mit der Politik und Strategie der Weltmacht weitergehen soll. Die derzeitige weltpolitische Zurückhaltung der Regierung Obama ist beredt genug. Und das 2014 erschienene Buch des Historikers und Politikwissenschaftlers Hal Brands befeuert die Diskussion erneut.

Der Verfasser fragt nach dem Nutzen, aber auch nach den Gefahren und Schäden der amerikanischen Weltpolitik in den rund sechs Jahrzehnten vom Beginn des Kalten Krieges am Ende der vierziger Jahre bis zum neuen Weltkonflikt mit dem Islamismus zur Zeit des Präsidenten George W. Bush (2000−2008). Dem amerikanischen Präsidenten Harry S. Truman (1945−1953) war es gelungen, mit der Strategie der Eindämmung („containment“) der aggressiven Sowjetunion Westeuropa Stalins Zugriff zu entziehen und gleichzeitig den kommunistischen Angriff auf Korea abzuwehren. Der Autor versieht diese Phase mit dem Prädikat einer „goldenen Ära“ der amerikanischen Politik. Doch der Ost-West-Konflikt trat bald in eine zweite, verschärfte Phase: 1949 gelang es den Sowjets, das amerikanische Atomwaffenmonopol zu brechen, und im gleichen Jahr trat das kommunistische China dem internationalen Konzert der Mächte bei.

Vor allem der Beginn der großen Emanzipationsbewegung der kolonialen Welt in Asien und Afrika seit den 1960er Jahren führte zu einer globalen Ausweitung des Ost-West-Konflikts, der zeitweise an den Rand eines neuen Weltkriegs führte (Suezkrise und Ungarn-Aufstand 1956, Kuba-Krise 1963). Einer der ersten kommunistisch geführten sogenannten „nationalen Befreiungskriege“ in Vietnam führte die US-Präsidenten John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson zur militärischen Intervention, welche sich bald als eine Entscheidung „am falschen Ort zur falschen Zeit“ erwies, die Weltmacht in einen langwierigen und opferreichen Konflikt verstrickte und ihre Grenzen aufzeigte. Schwere innere Krisen der USA waren die Folge, eine militante Jugendrebellion und schwere Rassenunruhen. Erst dem nächsten Präsidenten, Richard Nixon (1969−1974), und seinem Außenminister Henry Kissinger (1969−1977) gelang es, das Abenteuer Vietnam zu liquidieren und sich mit China durch dessen Beitritt zu den Vereinten Nationen zu arrangieren.

Während des Vietnamkriegs und der gleichzeitigen ost-westlichen Entspannungspolitik in den siebziger Jahren hatte die Sowjetunion begonnen, das Gleichgewicht durch kommunistische Machtergreifungen von Nicaragua über Angola und Äthiopien bis hin zum Jemen und durch ihre Fortschritte bei den nuklearen Interkontinentalraketen zu ihren Gunsten zu verschieben. Die neue US-Regierung unter Ronald Reagan (1981−1989) war entschlossen, gegenüber der Sowjet-union eine offensive Politik zu beginnen. Das ökonomische und technologische Kräftemessen und der Rüstungswettlauf zielten darauf, die überlegenen amerikanischen Ressourcen politisch zu nutzen. Der Antritt Michail Gorbatschows 1985 bewirkte, daß man in Moskau die Notwendigkeit einer Erneuerung des sowjetischen Systems und der Begrenzung des ost-westlichen Systemkonflikts erkannte. Dieses Zusammenspiel führte ab 1989 zum Zusammenbruch der Sowjetunion.

Krieg ist nicht das Mittel zur Weltverbesserung

Durch den Sieg im Kalten Krieg waren die Vereinigten Staaten für kurze Zeit zur „einzigen Weltmacht“ (Zbigniew Brzezinski) geworden, zur „Führungsmacht der Welt“. Doch der außenpolitische Erfolg führte in der Regierung von Bill Clinton 1992 bis 2000 zu einer deutlichen Distanz gegenüber weiteren außenpolitischen Engagements. So traf der islamistische Terrorangriff auf die Machtzentren in New York und Wa-shington am 11. September 2001 auf eine Phase der außenpolitischen Ermüdung der USA. Die Regierung unter George W. Bush nutzte indes den Schock des „Pearl Harbor des 21. Jahrhunderts“, um das Land zum „Krieg gegen den Terror“ zu mobilisieren, zu einem „Kampf der Guten gegen die Bösen“.

Hal Brands unternimmt eine detaillierte Untersuchung des Entscheidungs- und Planungsprozesses der Bush-Regierung zum Angriff auf die Diktatur Saddam Husseins im Irak, den man zu einem „Sponsoren des Terrors“ erklärte, obwohl die Belege dafür ebenso fehlten wie für den Vorwurf, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen oder strebe sie an. Brands Untersuchung einer Fülle von Regierungsdokumenten und der einschlägigen Literatur bestätigt die Theorie, daß Washington eine günstige Gelegenheit nutzte, den Irak als Gefahr für die Golfregion und für Israel auszuschalten. Brands zeichnet den Verlauf der Intervention bis zu den unerwarteten Resultaten nach: ein schiitisch-sunnitischer Bürgerkrieg, gesteigerter Terror, Hunderttausende zivile Opfer, Tausende US-Gefallene und exorbitante Kosten in Billionenhöhe. Der Autor enthüllt Fehleinschätzungen und Irrtümer in der Planung, eine fehlende zentrale Leitung, euphorische Erwartungen und leichtfertigen Optimismus in der Regierung.

Die Bilanz des Verfassers ist nüchtern, aber deutlich: Er würdigt George F. Kennan, den heute vielfach vergessenen Architekten der amerikanischen Strategie der Eindämmung der Sowjetunion in den Anfängen des Kalten Krieges, der die amerikanische Neigung kritisierte, Politik auf der Grundlage des politischen Messianismus und ideologischen Universalismus zu betreiben. Diese Prinzipien hatten bereits den Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg begründet, als Präsident Wilson die Parole ausgab: „To make the world safe for democracy“.

Kennan hielt nichts von Kriegen, die eine bedingungslose Unterwerfung, eine Bestrafung und Umerziehung der Besiegten zum Ziel haben. Nach seiner Überzeugung war Krieg ein Instrument zur Wahrung der Interessen des eigenen Staates, nicht ein Mittel zur Weltverbesserung. Er orientierte sich an der Realpolitik Bismarcks als der „Kunst des Möglichen“. Und Henry Kissinger zeigte mit seiner Vietnam- und China-politik, wie sehr er von einem anderen europäischen Politiker, dem Fürsten Metternich, gelernt hatte. Es sind diese Prinzipien, die Hal Brands als Ergebnis seiner großen Studie seinem Land als verläßliche Grundlage der künftigen Außenpolitik empfiehlt.

Hal Brands: What Good Is Grand Strategy? Power and Purpose in American Statecraft from Harry S. Truman to George W. Bush. Cornell University Press, Ithaca 2014, gebunden, 288 Seiten, 29,95 Euro

Foto: Manöver des US-Flugzeugträgers USS-Nimitz am Horn von Afrika (2013): Lauter Fehleinschätzungen und Irrtümer

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