© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/15 / 27. März 2015

„Lieber Revolution machen, als sie zu erleiden“
Der Bismarck-Experte Lothar Gall über den „Eisernen Kanzler“ als konservativen Revolutionär
Moritz Schwarz

Herr Professor Gall, Sie haben Otto von Bismarck einen „weißen Revolutionär“ genannt.

Gall: Weißer Revolutionär im Gegensatz zum roten Revolutionär.

Bismarck gilt allerdings weithin als Prototyp des Reaktionärs.

Gall: Er war ein konservativer Revolutionär. Bismarck hat die Kräfte der Revolution dazu benutzt, die herrschenden Verhältnisse zu stabilisieren. Das hat natürlich eine gewisse Gewitztheit, die viele verkannt haben.

Wollte er revolutionieren oder war er ein Revolutionär wider Willen?

Gall: Ich zitiere in meinem Buch den Liberalen Ludwig Bamberger, der über Bismarck geschrieben hat: „Man kann nicht bezweifeln, daß er ein geborener Revolutionär war. Denn man wird als Revolutionär geboren, wie als Legitimist, nach der Art der geistigen Anlage. Allein der Zufall entscheidet darüber, ob die Umstände des Lebens aus einem einen Weißen oder einen Roten machen.“ Zur Zeit Bismarcks erkannte man auch im konservativen Lager, daß das verknöcherte System sich den wirtschaftlichen und sozialen Problemen der Zeit immer weniger gewachsen zeigte. Man sah, daß vieles reformbedürftig war und man zu einem Ausgleich mit den immer stärker werdenden bürgerlichen Schichten kommen mußte. Bismarck hatte scharfsinnig erkannt, daß bloße Reaktionspolitik die Zerstörung dessen beschleunigt, was sie zu erhalten wünscht. So galt ihm, lieber Revolution zu machen, als sie zu erleiden.

War Bismarck als Revolutionär erfolgreich?

Gall: Einerseits erwies sich das Reich von 1871 als unstabiles und kurzlebiges Gebilde. Andererseits ist die Modernisierung von Staat und Gesellschaft mit seiner Politik verknüpft: nationale Einheit, der moderne Interventionsstaat, die Entwicklung eines rationalisierten internationalen Systems, an dessen Gestaltung er hervorragenden Anteil hatte. Die Mittel, die Otto von Bismarck anwandte, haben den historischen Prozeß zeitweise enorm beschleunigt und in stürmischem Tempo das heraufgeführt, was wir heute die moderne Welt nennen.

 

Prof. Dr. Lothar Gall ,der „Meister seines Fachs und Grandseigneur unter den deutschen Historikern“ (Zeit) ist Autor der „klassischen Biographie“ (Spiegel) des Reichskanzlers: „Bismarck. Der weiße Revolutionär“ (1980). Geboren wurde Lothar Gall 1936 im ostpreußischen Lötzen.

 

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