© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/15 / 27. März 2015

Harald Welzer. Der Bestsellerautor warnt uns vor einem heimlichen Machtwechsel
Putsch aus dem Netz
Felix Dirsch

Erleben wir derzeit einen Regimewechsel, ohne es zu merken? Ja, fürchtet Bestsellerautor Harald Welzer, dessen neues Buch, „Autonomie. Eine Verteidigung“, Mitte April erscheint. „Wir glauben, dafür brauche es eines sichtbaren Wandels, Austauschs des Personals, neuer Ikonographie der Macht, weil wir das aus dem 20. Jahrhundert so kennen. Ist aber nicht denkbar, daß die äußere Verfassung bleibt, doch intern sich die Machtverhältnisse ändern?“

Was sich anhört, wie die Einleitung zu einer Verschwörungstheorie, stammt von einem der angesehensten sozialwissenschaftlichen Publizisten des Landes. Welzer, geboren 1958 in Bissendorf bei Hannover, ist Direktor von „Futurzwei – Stiftung Zukunftsfähigkeit“ und Professor für Transformationsdesign an der Universität Flensburg. In 21 Ländern sind seine Bücher bereits erschienen.

Schon lange interessiert er sich für die andere Seite der Barrikade, lotet die Chancen für eine neue außerparlamentarische Opposition aus, etwa 2011 in seinem vielbeachteten Buch „Das Ende der Welt, wie wir sie kannten“, in dem er die Vorstellung einer „Apo 2.0“ präzisiert, die „keine Organisation, sondern eine Haltung“ sein soll.

Nun wissen wir warum: Uns drohe ein „Totalitarismus ohne Uniform“ aus dem Internet. Diktaturen, so Welzer in einem Interview, schaffen immer zuerst das Private ab. „Nur so lassen sich Menschen kontrollieren. Und Google und Co. arbeiten an der Abschaffung des Privaten.“

Schon 2013 versuchte er in „Selbst denken. Anleitung zum Widerstand“ den abstrakten Gegner zu demaskieren: „Konsumismus ist heute totalitär geworden und treibt die Selbstentmündigung dadurch voran, daß er die Verbraucher – also Sie – zu ihren eigentlichen Produkten macht, indem er Sie mit immer neuen Wünschen ausstattet, Wünsche, von denen Sie vor kurzem nicht ahnten, daß Sie sie überhaupt je hegen würden.“

Immerhin kommt Welzer zu einer im Chor der Gesellschaftskritik seltenen Einsicht: Der Widerständige müsse primär den „Widerstand gegen sich selbst“ richten. Eindeutig spricht er sich auch gegen das „masochistische Exerzitium“ der Option für das kleinere Übel aus. So ist er von Konservativen, die die „Politisch-korrekte Einheitspartei Deutschlands“ (Ulrich Schacht) verschmähen, nicht weit entfernt, was ihm angesichts seiner geradezu totalitären Kritik an Pegida allerdings selbst kaum klar sein dürfte.

Manchmal hat es gar den Anschein, als trage der erfolgreiche Autor seinen Nonkonformismus ostentativ zur Schau. In seinen „Zwölf Regeln für erfolgreichen Widerstand“ in „Selbst denken“ will er Opposition nicht nur von den unterschiedlichen Gelegenheiten der Leser abhängig machen, sondern auch von dem, was Spaß bringt. Subtilere Avancen als diese hat die Spaßgesellschaft kaum je bekommen.

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