© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/15 / 27. März 2015

Hoch Otto
Bismarcktürme: Noch heute zeugen sie von der Verehrung für den Reichsgründer / Die meisten Deutschen kennen mindestens einen in ihrer Region
Christian Vollradt

Seinen Kopf gab es als Bierkrug oder Tabakspfeife, als Spardose oder Nußknacker. Bilder und Büsten von ihm in endloser Zahl zierten deutsche Stuben. Keine Frage: Bismarck war schon zu Lebzeiten eine Kultfigur, eine Art Popstar. Gedenksteine wurden errichtet, ebenso Standbilder.

Erst recht in Fahrt kam die öffentliche Verehrung für Bismarck zu dessen 80. Geburtstag am 1. April 1895. 450 Orte verliehen dem ehemaligen Reichskanzler die Ehrenbürgerwürde (insgesamt wurden es zu Lebzeiten 495), Hunderte Bismarck-Vereine wurden gegründet. Außerdem setzte geradezu ein Denkmalbau-Boom ein.

Das erste Bismarck-Denkmal wurde bereits zu Zeiten des Norddeutschen Bundes 1868, also noch vor der Reichsgründung, errichtet und zwar auf private Initiative im schlesischen Groß Peterwitz. 1877 – also auch noch zu Amtszeiten Bismarcks – weihte man im Harzstädtchen Bad Harzburg eine 19 Meter hohe Stele ein, die sogenannte „Canossa-Säule“. Sie erinnert an Bismarcks Machtkampf mit dem Vatikan fünf Jahre zuvor und trägt die Inschrift: „Nach Canossa gehen wir nicht. Reichstagssitzung 14. Mai 1872“.

Das steingewordene Zeugnis der Popularität des Reichsgründers schlechthin sind jedoch die zahlreichen Bismarcktürme, die über ganz Deutschland verteilt errichtet wurden und von denen der größte Teil auch heute noch steht (siehe Karte). Allein 119 Türme mit Aussichtsplattform sind in der Bundesrepublik erhalten. 27 stehen im Ausland, die meisten von ihnen im früheren Ostdeutschland (siehe Kasten).

Insgesamt wurden laut Experten 240 Bismarcktürme in den Jahren zwischen 1869 und 1934 eingeweiht; allerdings standen so viele Türme nie zur selben Zeit. Die Anregung für den Bau der Türme kam nach dem Tod Bismarcks 1898 von der deutschen Studentenschaft. Jeweils zur Sonnenwende (Geburts- und Todestag lagen schließlich in den Semesterferien), sollten auf den Bauten, so hieß es in einem Aufruf, „Flammen weithin leuchten, von Berg zu Berg sollen die Feuer mächtiger Scheiterhaufen grüßen, deutschen Dank sollen sie künden (...) heiße innige Vaterlandsliebe, deutsche Treue bis in den Tod.“

Es gab jedoch auch Kreise, denen die kultische Verehrung des Ruheständlers aus dem Sachsenwald mißfiel: Sieht man von der kleinen „Welfenpartei“ ab, die ihm das gewaltsame Ende des Königreichs Hannover verübelte, waren es vor allem die Sozialdemokraten, die katholische Kirche (die den „nationalen Götzendienst“ kritisierte) – und: der Kaiser.

Wilhelm II. sah sich zusehends genötigt, seinen Großvater Wilhelm I. als den wahren Reichsgründer und -einiger ins rechte Licht zu setzen und dessen Verdienste öffentlich zu würdigen. Gegen den populären Bismarck-Kult des national gesinnten Bürgertums setzte Seine Majestät auf die Glorifizierung „Wilhelms des Großen“, etwa mit den gewaltigen Denkmalen im Kyffhäuser, am Deutschen Eck in Koblenz und an der Porta Westfalica.

Ironie der Geschichte: Während konservative Hofkreise dem Bismarck-Kult reserviert bis ablehnend gegenüberstanden, stilisierte ihn das aufstrebende nationalliberale Bürgertum zum Helden und stellte ihn in den Mittelpunkt seiner „Erinnerungspolitik“.

Die meisten Bismarcktürme entstanden nicht in der pommerschen Heimat des Reichsgründers, nicht im ländlich geprägten Deutschland, dem der „Junker“ und einstige „Reaktionär“ entstammte; sondern in den neuen Industriezentren und nahe den Großstädten.

Jörg Bielefeld, Alfred Büllesbach: Bismarcktürme. morisel München 2014, gebunden, 180 Seiten, 28 Euro

www.bismarcktuerme.de

 

... und wo noch?

Bismarcktürme im (heutigen) Ausland

Chile: Concepción

Frankreich: Laon, Metz

Kamerun: Cap Nachtigal

Österreich: Rosenau

Polen: Drengfurt, Filehne, Grünberg, Lauenburg, Neustettin, Ober-Johnsdorf, Osterode, Ratzebuhr, Reichenbach/Hohe Eule, Sagan, Schivelbein, Schwiebus, Sensburg, Soldau, Sorau, Stettin, Zobten

Rußland: Insterburg, Ober-Eißeln/Ragnit

Tschechien: Asch, Eger, Nixdorf

 

Nicht mehr existierende Bismarcktürme

Deutschland: Fürth, Berlin-Köpenick, Brandenburg, Senftenberg (2), Bremerhaven-Geestemünde, St. Pauli, Wiesbaden, Krakow am See, Rostock, Seebad Heringsdorf, Bad Rothenfelde, Hannover, Rosengarten-Ehestorf, Stade, Bochum-Dahlhausen, Bonn-Kessenich, Dorsten, Dortmund, Lüdenscheid, Porta Westfalica, Vlotho, Bad Bergzabern, Neuwied, Chemnitz, Frankenberg, Freiberg, Meißen, Zwickau, Hasselfeld-Trautenstein, Malente, Bad Sulza, Eisenach, Gera, Lehesten, Meiningen, Vacha, Weimar

Dänemark: Apenrade

Frankreich: Mörchingen

Papua-Neuguinea: Varzinsberg

Polen: Birnbaum, Bromberg, Culm, Drossen, Elbing, Flatow, Frankfurt/Oder (Dammvorstadt), Fraustadt, Glogau, Gottesberg, Guben, Josephsdorf, Kattowitz, Kempen, Lichtfelde, Melno, Meseritz, Myslowitz, Pollnow, Ratibor, Stonsdorf, Thorn, Ziegenhals

Rußland: Gumbinnen, Königsberg

Tansania: Kilwa

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