© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/15 / 27. März 2015

„Wir werden uns dem Angriff nicht beugen“
Tunesien: Nach dem IS-Terroranschlag sucht das Land Normalität, doch die Angst vor den Dschihadisten greift um sich
Marc Zöllner

Eigentlich hatte Salma Elloumi Rekik auf einen ruhigen Arbeitsplatz zum Abschluß ihrer Karriere gehofft, als sie Anfang Februar ihr Amt als neue tunesische Tourismusministerin antrat. Ihre Vorgänger leisteten in der Tat hervorragende Arbeit: Die Besucherzahlen hatten sich nach dem tiefen Einbruch zu Beginn des Arabischen Frühlings wieder auf Vorrevolutionsniveau stabilisiert.

Die von Rekik mitgegründete säkulare Partei Nidaa Tounes, der „Ruf Tunesiens“, rang zu den Parlamentswahlen im Oktober 2014 der moderat-islamistischen Ennahda-Bewegung die Mehrheit in der Volksvertretung ab. Und auch die Sicherheitslage schien trotz des seit drei Jahren tobenden Bürgerkriegs in Libyen weitestgehend unter Kontrolle. „Unsere Grenzen sind absolut undurchlässig bezüglich sämtlicher Infiltrationsversuche“, berichtete die Ministerin Mitte März der italienischen Nachrichtenagentur Ansa mit Blick auf den libyschen Nachbarn. „Es gibt kein Sicherheitsproblem in Tunesien. Alles ist unter Kontrolle.“ Als Ministerin für Tourismus, erklärte Salma Rekik, wolle sie nun dafür Sorge tragen, daß auch das tunesische Landesinnere vom Zustrom der Besucher sowie deren ausländischen Devisen profitieren könne.

„Bis jetzt sind achtzig Prozent unseres Marktes auf den Badetourismus fixiert“, erzählte die 58jährige vergangenen Dienstag noch hoffnungsvoll. „Nun wollen wir uns auch dem Kulturtourismus widmen und unsere archäologischen Stätten aufwerten wie beispielsweise Karthago, El Djem und das Bardo-Museum, wo die weltgrößte Kollektion an römischen Mosaiken aufbewahrt wird.“

Nur einen Tag später jedoch geschah das Unfaßbare: Bewaffnete stürmten das von Rekik hochgelobte Bardo-Museum, schossen wild um sich und ermordeten 23 Menschen, das Gros davon europäische und japanische Touristen, bevor sie selbst von Sicherheitskräften getötet werden konnten.

Es war der zweite Anschlag nach Ausbruch der Jasminrevolution von 2011; gemessen an der Opferzahl jedoch der blutigste in der Unabhängigkeitsgeschichte des Landes. Schmerzhaft wird Tunesien, welches sich gern als prosperierender ökonomischer Faktor, als stabiler Hort der Demokratie und als wohlfunktionierendes Mustermodell des Arabischen Frühlings präsentiert, von der grausamen Realität heimgeholt – und von Zahlen, die man im Lande am liebsten verdrängt haben wollte.

Unsichere Lage an der Grenze zu Libyen

Denn Tunesien gilt nicht nur als Besuchermagnet am Mittelmeer, als beliebtes Ziel für Wellness-Gäste und Kreuzfahrttouristen: Gerade der Süden des Landes, von der Reisebranche aufgrund des harschen Klimas sowie diverser Sicherheitsbedenken bislang flächendeckend gemieden, gerät mehr denn je ins Visier radikaler Islamisten. In diesen unwirtlichen Provinzen konnten die Einwohner weder unter der Diktatur Ben Alis noch nach der Revolution gegen diesen vom ökonomischen Aufschwung profitieren. Die Arbeitslosigkeit liegt mancherorts bei über dreißig Prozent. Hier hatte die Ennahda-Partei ihre beeindruckendsten Wahlerfolge erzielen können, und seit wenigen Jahren rekrutiert auch der Islamische Staat (IS) erfolgreich Kämpfer für seinen Krieg in Syrien und im Irak.

So stellen junge Tunesier mittlerweile den Löwenanteil der Brigaden der radikalislamischen Terrormiliz. Über dreitausend von ihnen kämpfen derzeit für das Kalifat im Nahen Osten; mehr als aus jedem anderen Land der Welt. Junge Tunesier waren es auch, die, vom IS in Camps im libyschen Nachbarland ausgebildet, unter den Touristen des Bardo-Museums ein Massaker verübten.

Der tunesische Staat wird dieser Bedrohung im Inneren des Landes trotz wachsender Überwachung durch Polizei und Geheimdienste nicht Herr. Und die Grenzen zu Libyen, aber auch zu Algerien, sind gerade im Süden des Landes durchlässiger denn je. Davon profitieren nicht nur Hunderttausende Wanderarbeiter und Nomaden. Auch der IS macht sich diesen Umstand gern zunutze.

Die neue Strategie einer dezentralen Kriegsführung des Islamischen Staates könnte, befürchten Sicherheitskräfte, das kleine Tunesien vermehrt zum Ziel von Terroranschlägen werden lassen. Ängste greifen Raum, daß nach dem erwarteten Zusammenbruch der Fronten des IS im Nahen Osten die Mehrheit der dreitausend radikalisierten tunesischen Söldner den Weg nach Hause findet und, mit Hilfe der Logistik libyscher IS-Sympathisanten, die mittlerweile einen zweihundert Kilometer breiten Landstrich an der Küste halten, auch im Süden Tunesiens die gewaltsame Errichtung eines eigenständigen Kalifats anstrebt.

Denn daß der Islamische Staat tatsächlich auch in der Lage ist, auf internationaler Ebene zu agieren, bewies er zuletzt auf der Arabischen Halbinsel: Nur zwei Tage nach dem Blutbad im Bardo-Museum sprengten sich vier Selbstmord-attentäter vor zwei Moscheen in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa in die Luft, töteten dabei rund 150 zumeist schiitische Muslime und verletzten über 350 weitere zum Teil lebensgefährlich.

In Tunis zeigte sich Ministerin Salma Elloumi Rekik jedenfalls kämpferisch. Tunesien werde sich diesem „Angriff auf die Kultur, die Geschichte und die Zivilisation Tunesiens nicht beugen“, erklärte sie in einem Schreiben an deutsche Tourismusunternehmen. Zu diesem Zweck habe die Regierung die Sicherheitsmaßnahmen für Touristen verstärkt. Im Mittelpunkt stehe dabei eine „verbesserte Koordinierung der verschiedenen nationalen Sicherheitsapparate“.

Fotos: Verstärkte Sicherheitsvorkehrungen in Tunis: Eine „bessere Koordinierung der Sicherheitsapparate“ soll das Land künftig schützen; Salma E. Rekik (l.) und der Erzbischof von Tunis, Ilario Antoniazzi bei der Trauerfeier: Gebete in der Kathedrale St. Vincent de Paul

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