© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/15 / 27. März 2015

Auf Augenhöhe mitkämpfen
Ende der Milchquote: Großbetriebe und Politiker betonen die Chancen / Familienbetriebe in großer Sorge
Christian Schreiber

Jahrzehntelang wurde ihr Ende von vielen herbeigesehnt. Nun ist der Tag nahe, doch die Ungewißheit ist dennoch da. Am 31. März läuft die sogenannte Milchquoten-Regelung aus, die eine Beschränkung der Milchproduktion vorsah. Angesichts von „Milchseen“ und „Butterbergen“ führte die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) im Jahre 1984 eine entsprechende Regelung ein, um das Überangebot an Milch- und Milchprodukten einzudämmen und den Marktpreis zu stabilisieren.

Die Gesamtquote lag anfangs 15 bis 20 Prozent über dem errechneten Verbrauch. Jeder Milchbauer erhielt dann eine einzelbetriebliche Quote, die Voraussetzung für die Lieferung beziehungsweise Vermarktung war. Das Ziel: den Milchpreis stabil zu halten und ein Höfesterben zu verhindern. Kritiker haben diese Regelung als „letztes Bollwerk der Planwirtschaft“ bezeichnet.

Die Bilanz fällt in der Tat durchwachsen aus, denn viele Bauern produzierten trotzdem mehr Milch und wurden daher zu einer Strafzahlung verdonnert. Deutsche Bauern mußten zuletzt mehr als sieben Millionen Euro Strafe zahlen, in Österreich droht sogar eine Rekordbuße. Auch wenn die aktuellen Zahlen derzeit noch errechnet werden, scheint festzustehen, daß die Landwirte in der Alpenrepublik zum Abschluß weit mehr als 40 Millionen Euro nachzahlen werden müssen.

Zahl der Milchbauern um fast 80 Prozent gesunken

Aus Sicht des Präsidenten des Verbandes der Deutschen Milchwirtschaft (VDM), Udo Folgart, soll den Landwirten künftig mehr unternehmerische Freiheit möglich sein. „Die Quote hat in den vergangenen Jahrzehnten nicht das gebracht, was die Initiatoren einst erwarteten“, sagte der frühere Vorsitzende der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) Paaren/Brandenburg der Presseagentur dpa. Die Zahl der deutschen Milchbauern sei seit 1984 von 369.000 auf 78.000 gesunken – ein Rückgang um fast 80 Prozent. Der Milchpreis werde eben nicht mehr in Brüssel beschlossen, die Bauern stünden im beinharten weltweiten Wettbewerb. Lag vor einem Jahr der Milchpreis relativ hoch, stürzten seither die Preise, auch weil keines der großen Lieferländer Probleme hat, etwa mit Trockenheit.

Als das Ende der Milchquote beschlossen wurde, wuchsen die Befürchtungen, der Preis könne ins Bodenlose fallen. Der von Großbetrieben dominierte Bauernverband (DBV) sieht das gelassen: „In Zukunft werden die Verfügbarkeit von Futter sowie umwelt- und baurechtliche Faktoren das Wachstum der Milchmengen begrenzen.“ Der Wegfall der Quote fördere die Auslastung von Produktionskapazitäten.

Unter Kleinbauern herrscht Unsicherheit. „Wer auf den freien Markt hofft, soll sich die Lage bei den Schweinezüchtern und Getreidebauern ansehen“, klagt Johann Schamberger vom mittelständischen Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) im Münchner Merkur. Schon jetzt liege der Literpreis nur bei 30,7 Cent – dabei wären 48 Cent nötig, um kostendeckend arbeiten zu können.

Den Politikern erscheinen die Zukunftsaussichten für Europas Milchbauern jedoch eher positiv. „Ein Preisverfall ist eigentlich die logische Folge, genau vorhersagen läßt sich das aber nicht“, erklärte der bayerische Agrarminister Helmut Brunner (CSU) gegenüber der Augsburger Allgemeinen. Derzeit kassieren die bayerischen Milchbauern zwischen 33 und 35 Cent pro Kilo Milch, der Tiefstpreis betrug vor mehr als einem Jahr schon einmal 14 Cent. Die Branche, die in Kilo und nicht in Litern rechnet, ist verunsichert: „Ich schließe nicht aus, daß der Milchpreis erneut unter Druck gerät“, erklärte Brunner.

Angebot und Nachfrage regeln künftig den Preis

VDM-Präsident Folgart, der für die SPD im Landtag von Brandenburg sitzt, bemüht sich auch um Gelassenheit. „Nun kann jeder selbst entscheiden, welche Menge er mit den Tieren produziert. Angebot und Nachfrage regeln künftig den Preis. Einziges Kriterium sollten die Wirtschaftlichkeit und das Betriebsergebnis sein“, lautet seine Empfehlung. Befürworter der Milchquote finden sich selbst im BDM kaum, die meisten Landwirte haben sie als bürokratisches Hemmnis empfunden. „Die Milchquote ist gescheitert“, sagt Günther Felßner, Vizepräsident des Bayerischen Bauernverbands. Große ökonomische Auswirkungen werde der Wegfall der Quote aber nicht haben: „Für die Milchpreise wird viel wichtiger sein, wie sich der Weltmarkt entwickelt. Nicht die Frage, ob einige europäische Länder ihre Produktion ein bißchen erhöhen.“ Auf den Weltmarkt schielen viele deutsche Erzeuger. DBV-Sprecher Christian Apprecht glaubt, daß Warentermingeschäfte oder Margenversicherungen wie in den USA an Bedeutung gewinnen könnten.

Über die Entwicklung des Marktes wollte der DBV dennoch keine Prognose abgeben. „Aufgaben des Betriebszweiges der Milchproduktion beziehungsweise Investitionen in moderne Ställe und Melktechnik zeigen, daß unsere Landwirte für sich gut abwägen, ob sie eine Zukunft für ihre Betriebe in der Milchproduktion sehen“, sagte Apprecht dem Focus.

Einig sind sich die Verbandsvertreter darin, daß die Milchquote ein Produktionshemmnis dargestellt habe, welches die EU-Bauern auf dem internationalen Markt benachteiligt habe. So sei in China und den USA der Absatz stark angestiegen, innerhalb der EU aber über Jahre konstant geblieben. Deutschland sei ohnehin ein Exportweltmeister, sagt Bauernfunktionär Felßner, und in Ostasien würden die Menschen heute eben mehr Milchprodukte konsumieren als vor 20 Jahren. Nun könne Deutschland auf dem umkämpften Milchmarkt auf Augenhöhe mitkämpfen.

„Jetzt ist viel Initiative verlangt, um neue Absatzmärkte zu erschließen“, sagt Milchverbandschef Folgart. Landwirte, Molkereien und der Lebensmittelhandel müßten gemeinsam neue Wege gehen. Künftig fielen viele bürokratische Aufgaben weg: „Die Chancen auf den internationalen Märkten sind gut, teilweise sogar sehr gut“, so der frühere LPG-Chef.

 

Milchmarkt-Krisenmanagement

Der mittelständische Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) vertraut nicht auf Warentermingeschäfte oder Margenversicherungen der Finanzindustrie zur Preisabsicherung. Das BDM-Konzept zum Milchmarkt-Krisenmanagement setzt auf „private Lagerhaltung, kombiniert mit zusätzlichen Anreizprogrammen zur Reduzierung der Anlieferungsmenge“ und eine „allgemeinverbindliche, zeitlich befristete Rücknahme der Milchproduktion“. Notwendig sei dafür eine permanente Marktbeobachtung und -analyse durch eine Monitoringstelle. Sie spricht eine Frühwarnung aus, wenn sich eine Krise abzeichnet. Breche der Markt weiter ein, deklariere die Monitoringstelle eine Marktkrise. Sie benenne dann entsprechende notwendige Marktanpassungsschritte. Sollte auch das nicht ausreichen, sei letztlich doch staatliche Intervention nötig, um einen kompletten Marktzusammenbruch zu verhindern.

Konzeptpapier des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM) zum Milchmarkt-Krisenmanagement: www.bdm-verband.org

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen