© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/15 / 27. März 2015

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Wer sich in der Zeit der Sonnenfinsternis am 20. März in größeren Menschengruppen aufhielt, bemerkte eine deutliche Veränderung der Atmosphäre. Vor allem das Ansteigen des Geräuschpegels war irritierend, die ziellose Aufgeregtheit und die Neigung, ohne weiteren Anlaß seltsame, fast tierische Laute von sich zu geben. Man wird an Hans von Hentigs These über den Zusammenhang von kosmologischen, biologischen und politischen Krisen erinnert.

Jasper von Altenbockum, den man sicher zu den klügsten Kommentatoren des Zeitgeschehens rechnen darf, hat die Verrohung beklagt, das Umsichgreifen einer diffusen Wut, eines Hasses auf „das System“, dem mit Argumenten nicht mehr beizukommen sei. Es ist an der Feststellung sicher etwas Richtiges, nur die Behauptung, daß das neu sei, trifft nicht zu. Der Unterschied zwischen der heutigen Situation und jener der siebziger, achtziger, neunziger Jahre besteht nur darin, daß das allgemeine Mißvergnügen, die Überzeugung von der Legitimität des eigenen „Widerstandes“ nicht mehr nur auf der Linken zu finden ist.

Der absurdeste Einwand gegen das Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgerichts ist der Hinweis auf die notwendige „Neutralität“ des Beamten. Der Beamte hat selbstverständlich „parteilich“ zu sein im Sinne seines Diensteids. Das eigentliche Problem liegt darin, daß man in Karlsruhe sukzessive eine andere Vorstellung von der ungeschriebenen Verfassung entwickelt und eingeführt hat, an deren Ende eben ein Kruzifix im Klassenzimmer inakzeptabel und eine muslimische Kopfbedeckung der Lehrerin akzeptabel erscheint.

Der Satz der Kanzlerin: „Die Deutschen werden mehr Moscheen“ sehen, klingt für sich genommen ganz harmlos, was Unbehagen auslöst, ist der Ton, der mitschwingt, das: „Ihr habt immer weniger und dann gar nichts mehr zu melden! In eurem Land! Und ihr könnt nichts dagegen tun! Und das ist auch gut so!“

Das Hauptproblem mit der „offenen Gesellschaft“ ist ihr Nichtvorhandensein.

Nekrolog: Am 11. März verstarb im Alter von 84 Jahren der Schweizer Altphilologe und Religionswissenschaftler Walter Burkert, einer der letzten Gelehrten mit universalem Horizont. Abgesehen von der immensen Zahl fachspezifischer Veröffentlichungen Burkerts, über die dem Außenstehenden kein Urteil zukommt, ist auf jene Arbeiten hinzuweisen, in denen er die Grundlagen für eine differenzierte Anthropologie und Kulturtheorie geschaffen hat. Dazu zählen vor allem „Homo necans“, ganz bescheiden mit dem Untertitel „Interpretationen altgriechischer Opferriten und Mythen“, sowie „Kulte des Altertums“, ein Buch, das die Grundlagen, auch die biologischen, der Religion behandelt. Die Souveränität, mit der Burkert seine Disziplin (oder seine Disziplinen) beherrschte, kam sicher auch in der Art und Weise zum Ausdruck, in der er die modischen Trends abwies und sich weigerte, dem Konstruktivismus seine Referenz zu erweisen: „Mein Eindruck war immer der, daß es nicht um ein Erfinden gehe, sondern um ein Finden.“

Noch zur Tötung des von den Amerikanern 1944 eingesetzten Aachener Oberbürgermeisters Franz Oppenhoff durch ein SS-Kommando: Oppenhoff war alles andere als ein Demokrat, vielmehr ein autoritärer Katholik, dem eine politische Ordnung nach dem Muster des Ständestaates im Österreich der Vaterländischen Front oder Portugals unter Salazar vorschwebte. Darin spiegelte sich die Position eines Mannes wie des evangelischen Pfarrers Martin Niemöller, über Jahre „persönlicher Gefangener des Führers“, der nach seiner Befreiung zum Entsetzen der Vernehmungsoffiziere erklärte, die Deutschen seien für die Demokratie ungeeignet, das habe man am Aufkommen Hitlers gesehen. Der Unterschied zu Oppenhoff lag nur darin, daß es nach Niemöller preußisch-protestantisch zugegangen wäre.

Es ist bei der politischen Ambition wie bei der Werbung um eine Frau: Man sollte nicht allzu bedürftig wirken.

„Der Mensch wächst aus der Gemeinschaft von Mann und Frau. Sie bilden die Familie. Die Familie weitet sich aus zur Sippe, Gemeinde und schließlich zum Stamm und Volk. Das Wesensmerkmal des Volkes besteht also nicht in einer quantitativen Vielheit von Menschen. Das wäre Masse. Volk ist mehr. Volk ist eine qualitative Vielheit von Menschen mit folgenden Übereinstimmungen: sie haben eine Blutsverwandtschaft, sie leben in einem bestimmten Raum, sie sprechen dieselbe Sprache, unter Umständen und in den meisten Fällen haben sie auch die gleiche Geschichte.“ (Christlich-Demokratische/Christlich-Soziale Union – Die weltanschaulichen Grundlagen und Ziele, 1954)

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 10. April in der JF-Ausgabe 16/15.

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