© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/15 / 27. März 2015

Der hatte noch Eier!
Ein Traditionsverein in der friesischen Provinz pflegt den Bismarck-Kult
Heiko Urbanzyk

Und wenn er nicht gestorben wäre, dann lebte er noch heute? Otto von Bismarck, der Eiserne Kanzler, hätte am 1. April seinen 200. Geburtstag gefeiert. Kein Blut und Eisen hätte ihm genutzt, diesen doch noch zu erleben. Dabei würde er heute dringend gebraucht!

Viele dem berühmten deutschen Staatsmann zugeschriebene Zitate lassen spannende Spekulationen darüber zu, wie die deutsche Politik mit ihm abliefe. Rauchverbot in Gaststätten? „Das Rauchen bietet doch einen großen Genuß.“ Und wer weiß, ob es nicht mit Bismarck eine ordentlich funktionierende EU gäbe – sogar mit EuGH: „Das Recht läßt sich in europäischen Streitigkeiten, wo ein kompetenter Gerichtshof nicht besteht, nur durch die Bajonette geltend machen.“ Der Taktierer Bismarck hätte eine friedliche Beilegung sicher vorgezogen. Die Ähnlichkeit von revolutionsfreudigen, reformfeindlichen Franzosen und Pleitegriechen erkannte er früh: „Apollo ist der echte Typus eines Franzosen: er ist einer von denen, die es nicht ertragen können, daß irgendein anderer ebenso gut die Flöte spielt als er.“ Der GroKo hätte er eins gehustet, denn: „Das Vaterland will bedient sein, nicht beherrscht.“

101 Leckerbissen für den Reichskanzler

Wie gedenken die Deutschen ihres großen Sohnes zum 200. Ehrentag? Die Zeit der Bismarcktürme, -säulen und -eichen ist vorbei, die kultische Verehrung des Preußen im ganzen Land erstorben. Im ganzen Land? Nein, in Friesland gibt es ein Nest unbeugsamer Deutscher, die dem Adelssproß ein ehrendes Andenken bewahren! Der Verein „Die Getreuen von Jever“ überreichte seit der Reichsgründung 1871 dem Lotsen des Reichsschiffes jährlich eine Kiste mit 101 Kiebitzeiern. Die Honoratioren der Stadt Jever suchten etwas Besonderes, das Bismarck in den jährlichen Geschenkbergen gleich auffiel. Ein Jeveraner hatte durch einen ehemaligen Bismarck-Bediensteten aus Varel von der Vorliebe des Kanzlers für diese Eier erfahren. Der Präses der „Getreuen“, Ingo Hashagen, erklärt auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT, die Zahl 101 entstamme dem Kartenspiel „101 is ut“, einer Variante des Skats, die im Jeverland gespielt werde. „Wir haben den Brief eines Zeitzeugen vorliegen, der das bekundet. Wir vermuteten bis zu dessen Auffinden, es hinge mit den 101 Schüssen beim Kaisersalut zusammen.“

27 Jahre lang, bis zu seinem Tode, erhielt der adlige Gourmet eine Kiste der Kiebitzeier an seinem jeweiligen Aufenthaltsort geschenkt. Dies war nach seiner Berliner Amtszeit ab 1890 Friedrichsruh bei Hamburg. In den Landesfarben Schleswig-Holsteins (blau-weiß-rot) fand Bismarck seine Leckerbissen stets mit einer Glückwunschkarte versehen. Er bedankte sich 1883 mit einem Pokal bei den „Getreuen von Jever“, der heute im Bismarck-Museum ebendort steht. Der Pokal stellt ein Ei auf Füßen mit Kiebitzhaupt dar.

Bis heute tagen „Die Getreuen“ im Restaurant „Haus der Getreuen“ als Stammtisch. „Wir sind unpolitisch“, gibt Hashagen zu verstehen. Sogar Urenkel der Vereinsgründer gehören den „Getreuen“ heute noch an. Tradition verpflichtet. In Jever wird sie durch das „Getreuen- und Bismarckmuseum“ gesichert. Es stehe durch eine Millionenstiftung des Eigentümers an die Stadt Jever auf sicheren Beinen, versichert der Lokalhistoriker Hashagen, der die Geschäfte der Stiftung führt.

Kiebitzeier dürfen die Bismarck-Verehrer zum 200. Geburtstag ihres Kanzlers nicht mehr verspeisen. Der Kiebitz steht auf der roten Liste der vom Aussterben bedrohten Tierarten.

Wie werden die „Getreuen“ den 200. Geburtstag feiern? „Wir feiern immer am 1. April“, erklärt Hashagen. Dieses Jahr werde sich der 65 Mitglieder zählende Stammtisch zunächst an der Bismarckeiche von 1896 treffen, deren Umzäunung ein Bronzeguß von Bismarck ziert. Nach einer Ansprache und dem Abendessen wird es einen Festkommers im „Haus der Getreuen“ samt Vortrag geben. Traditionell wird der Kiebitzpokal des Reichskanzlers mit Wein in der Runde herumgereicht. „Ganz wie es sich Bismarck bei der Stiftung wünschte“, sagt Hashagen nicht ohne Stolz.

www.stadt-jever.de//

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